crime scene
: Der Palme-Mord

Am Abend des 28. Februars 1986 besucht der schwedische Ministerpräsident Olof Palme mit seiner Frau Lisbet das Filmtheater Grand in Stockholms City. Als sich das Ehepaar nach der Vorstellung zu Fuß auf den Heimweg macht, tritt ein Mann aus einer dunklen Gasse und gibt zwei Schüsse auf sie ab. Palme ist sofort tot.

Der Mord an Olof Palme harrt bis heute seiner Aufklärung. Natürlich sind in den letzten zwanzig Jahren eine Menge Verschwörungstheorien in Umlauf gesetzt worden, aber erst jetzt ist in Schweden ein Kriminalroman erschienen, der sich mit dem Attentat befasst: „Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters“. Der Autor ist Leif GW Persson, Jahrgang 1945, Professor für Kriminologie und Berater der obersten Polizeibehörde. Persson kennt die Akte „Palme“ vermutlich auswendig, doch bei seinem Roman handelt es sich dennoch nicht um das halb dokumentarische Machwerk eines in die Jahre gekommenen Staatsbeamten, sondern um einen der intelligentesten politischen Thriller der Saison.

Es beginnt mit einem rätselhaften Todesfall. Ein amerikanischer Journalist namens John P. Krassner stürzt aus dem 16. Stock eines Mietshauses in Stockholm. Zunächst deutet alles auf einen Selbstmord hin, doch der Tote trägt einen Zettel mit der Adresse von Lars M. Johansson bei sich, dem stellvertretenden Chef des Landeskriminalamts. Während die Beamten vor Ort den Fall möglichst schnell zu den Akten legen wollen, beginnt Johansson auf eigene Faust zu ermitteln.

Jetzt kommt Palme ins Spiel, der aber in Perssons Roman namentlich nie genannt wird: Johansson erfährt, dass der Journalist brisantes Material über die Vergangenheit des „Ministerpräsidenten“ entdeckt hat: Der Staatschef soll in der Nachkriegszeit als Spitzel für die CIA gearbeitet haben – und später dann in den Dienst des KGB getreten sein. Grund genug, Krassner ermorden zu lassen?

Nun hat es immer Gerüchte über Verbindungen zwischen Olof Palme und dem US-Geheimdienst gegeben, und zumindest der Mann auf der Straße war davon überzeugt, dass der „Sozi“ viel zu gute Kontakte zur Sowjetunion gepflegt hatte. Doch Perssons Leistung besteht nicht darin, eine weitere Verschwörungstheorie literarisch aufzuarbeiten. Stattdessen ist sein Roman der fast 700 Seiten lange Versuch, Schwedens Selbstverständnis als „moralische Supermacht“ mit den Mitteln des Kriminalromans zu zerstören.

Das alles geschieht, ganz im Gegensatz zum Trend auf dem internationalen Thrillermarkt, langsam und bedächtig. In langen historischen Exkursen zur „inoffiziellen schwedischen Außenpolitik“ weist Persson genüsslich nach, dass „Neutralität“ in seinem Heimatland immer nur ein Lippenbekenntnis war – und widmet sich darüber hinaus ausführlich dem korrupten und demokratiefeindlichen Polizeiapparat. „Dass für fast alle Verbrechen, die derzeit in Schweden begangen wurden, Ausländer verantwortlich zeichnen“, ist nicht nur für den rechtsradikalen Beamtenanwärter Oredsson ausgemachte Sache: Bei der Bereitschaftspolizei hat er jede Menge Gesinnungsgenossen.

Leif GW Persson malt in seinem erschreckend realistischen Thriller das Bild eines von Rassismus und Ressentiments zerfressenen Landes. Ein Polizist wie Oredsson findet nichts dabei, wenn er bei der Vernehmung eines Zeugen auf ein Porträt des Ministerpräsidenten stößt, das von Dartpfeilen durchlöchert worden ist, und auch sein versoffener Kollege Bäckström macht sich darüber nicht mehr Gedanken als nötig: „Was für eine Scheißgesellschaft, was für Scheißmenschen und was für ein Scheißleben, das sie leben“, murmelt er, als er sich wieder einmal voll laufen lässt: „Da kann man nur auf einen richtig heftigen Mord hoffen, damit man endlich mal wieder richtig was zu tun kriegt.“ Bäckström bekommt seinen Mord, ganz zuletzt. Aber für die Menschen und für das Leben, das sie leben, ist es längst zu spät. KOLJA MENSING

Leif GW Persson: „Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters“. Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs. btb, München 2005, 696 Seiten, 22,90 Euro