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Archiv-Artikel

Im Rotlichtreservat

Zwischen Betonmauern und Eisentoren leben und arbeiten über tausend Frauen in Bangladeschs ältestem Bordellgebiet. Islamische Führer prophezeien ihnen die Hölle. Aber die kennen sie ja schon

AUS DHAKA KATHRIN BÖHME

Religiöse Führer versagen ihnen einen Platz auf dem Gemeindefriedhof, Ärzte verweigern ihnen Hilfe oder verlangen horrende Gebühren – die Gesellschaft spricht Prostituierten jede Form von Rechten ab. Die Frauen werden diskriminiert, bedroht, misshandelt. Doch Zeugen solcher Taten finden sich nicht.

In der patriarchischen und dicht vom islamischen Glauben durchwachsenen Gesellschaft Bangladeschs werden Prostituierte nur innerhalb von ummauerten Arealen geduldet. Man erzählt sich, dass der Hass vermeintlich betrogener Ehefrauen sogar ausreichte, um vor knapp drei Jahren eines der Bordellgebiete anzuzünden. Auch hier gibt es keine offiziellen Beweise.

Manju, 35 Jahre, ist eine der eintausendzweihundert weggesperrten Frauen und Mädchen, die im größten und ältesten Bordell Bangladeschs nahe der Kleinstadt Dauladtia leben. Ihr beige-braun gemustertes Sarituch liegt schützend wie eine Decke um Schultern und Haupt. Das offene Lächeln könnte über die Tragik ihrer Lebensgeschichte hinwegtäuschen, wären da nicht ihre Augen, der kritische und zugleich provokante Blick einer verletzten Frau. „Ich war sechzehn, als mich meine Eltern verheiratet haben. Nach nur drei Jahren Ehe hat mich mein Mann an einen Zuhälter verkauft, für zwanzigtausend Taka, eine immense Summe“, das sind heute umgerechnet rund zweihundertsechzig Euro. Ebenso hoch ist ihre Auslösesumme.

Frauenhandel entbehrt jeglichen legalen Bodens, doch wissen die Mädchen wenig über Gesetze. Ihre Rechte scheinen ohnehin nur auf dem Papier zu existieren. Ihren Sohn hat Manju seit damals nicht gesehen. Sie weiß auch nicht, wo er sich aufhält. Um ihre Tränen zu verbergen, schaut sie auf ihre Hände, knackt nervös mit den Gelenken der Finger. „Früher war ich jung und hübsch, ich habe pro Tag zwischen zwanzig bis fünfundzwanzig Freier gehabt.“ Nein, das sei überhaupt nicht ungewöhnlich, sagt sie und lacht über mein Entsetzen. „Ist man gut gebaut, kann man in diesem Geschäft überdurchschnittlich verdienen“ – knapp fünfzig Cent pro Kunde. „Manche Freier bleiben auch regelmäßig mehrere Tage, wollen von uns umsorgt werden und kehren schließlich zu ihren Ehefrauen zurück. Wir nennen sie Bhalobhasha Log, Liebhaber.“

Seit nunmehr vier Tagen hatte Manju keinen Freier, sie schämt sich, dies vor den anderen Frauen zu sagen, und rechtfertigt sich: „Die früheren Stammkunden besuchen jetzt jüngere Kolleginnen oder deren Töchter, viele sind noch Kinder, manche gerade einmal zwölf Jahre alt oder noch jünger.“ Es wohnen nur wenige Frauen ihres Alters im Bordell, die meisten landen als Bettlerinnen auf Dhakas Straßen.

Wie das Verhältnis untereinander ist, will ich wissen. „Ich lebe seit sechzehn Jahren hier, dies ist mein Zuhause, genau wie das der anderen. Am Tage sind wir wie Freundinnen, besuchen uns gegenseitig und helfen uns, am Abend müssen wir Konkurrentinnen sein.“ Streit gebe es selten und wenn, dann ist er meistens von den Polizisten initiiert. „Die suchen nur nach einem Anlass“, erklärt Manju „um die Mädchen in Arrest zu setzen, wo sie zu Diensten sein müssen. Sie verstehen?“

Rund 10.000 Prostituierte arbeiten und leben in Bangladesch, so sind die offiziellen Schätzungen. Zwölf von der Regierung registrierte Bordelle sind Arbeits- und Wohnstätte von 3.278 Frauen. Weit mehr Prostituierte werden auf den Straßen, in Privathäusern und Hotels vermutet. Strategisch günstig liegt das Bordellviertel an einer Handelsstraße zwischen der indischen Grenze im Westen und Dhaka, neben der Kleinstadt Dauladtia. Schon vor rund einhundertfünfzig Jahren war es Zwischenstation reicher Geschäftsleute und einfacher Arbeiter gleichermaßen. Der Großteil der Mädchen wurde wie Manju von den Ehemännern, Eltern oder gänzlich Fremden verkauft. Ihnen wurde ein gut bezahlter Job als Hausmädchen versprochen, oder sie wurden vergewaltigt und infolge dessen von ihrer Familie verstoßen. Unter dem Druck der Gesellschaft schien der Schritt in die Prostitution nur noch klein.

Wollen die Frauen legal als Prostituierte arbeiten, also in einem Bordell wohnen oder in ein anderes wechseln, benötigen sie seit 1997 laut dem Ministerium für Social Welfare eine Genehmigung. Voraussetzung ist ein Gutachten über den Gesundheitszustand sowie eine Meldebescheinigung der örtlichen Polizeidienststelle. Das tatsächliche Alter der Mädchen kann aufgrund fehlender Geburtsurkunden selten überprüft werden. Alles in allem ein zähes Verfahren, was gegen Bakschisch, also Schmiergeld oder entsprechende Dienste, leicht umgänglich ist. So wird die Meldepflicht von den Frauen als zusätzliche Schikane wahrgenommen. Eine logische Maßnahme wäre die Vernetzung der einzelnen Meldestellen. So könnten nicht nur die Frauen besser betreut, sondern zudem stimmige Statistiken geführt werden. Eine vergleichbare Behörde existiert laut offiziellen Angaben nicht.

Das Bordellgebiet ist von einer zwei Meter hohen Betonmauer umgeben. Staubige Straßen führen zu insgesamt drei schweren Eisentoren, durch die das Areal aus verschiedenen Richtungen betreten werden kann. Viele der Kunden kommen zu Fuß oder mit der Rickscha, einem Fahrradtaxi. Während der Monsunzeit sind die unbefestigten Wege völlig aufgeweicht und deshalb schier unbegehbar.

Unser Eintritt scheint fast unbemerkt, niemand kontrolliert die Zugänge. Innerhalb der Mauern herrscht eine kühle Atmosphäre, kaum Grün in den engen Gassen, keine Straßen, kein Dorfplatz. Es ist gegen zwei Uhr nachmittags, viele der Frauen scheinen zu schlafen, nur wenige sitzen vor ihren Hütten zum Plaudern, hängen Wäsche zum Trocknen auf oder kochen auf der offenen Feuerstelle eine Hand voll Reis. Von der weißen Frau scheint noch immer kaum eine Notiz zu nehmen.

Das gesamte Gebiet durchziehen lange Abwassergräben, die dürftig mit Holzbrettern abgedeckt sind. Infolge der Hitze liegt ein leicht fauliger Geruch in der Luft. Schätzungsweise sechshundert Hütten, die größten von ihnen mit einer Grundfläche von zwanzig Quadratmetern, reihen sich eng aneinander. Die flachen Bauten sind mit Wellblech bedacht. Die strengen Gebäudefronten werden durchbrochen von kleinen Gemischtwarenläden und Bars, in denen illegal Alkohol ausgeschenkt wird. „Wir zahlen hier für Lebensmittel das Dreifache des landesüblichen Preises“, empört sich Manju. Sie rechnet mir vor, dass sie für ihre fünfzehn Quadratmeter große Hütte pro Monat eintausendzweihundert Taka (sechzehn Euro) an die „Landlady“, eine ehemalige Prostituierte, zahlt. Verdient sie im Durchschnitt pro Tag einhundert Taka, geht über die Hälfte an ihren Zuhälter und ein Netzwerk einflussreicher Personen. Eine der Mafia vergleichbare Gruppe ist der eigentliche Drahtzieher im Hintergrund. Unter ihnen sind Polizisten, religiöse Führer und Politiker, die sowohl der jeweiligen Regierung als auch der Opposition angehören.

Ein Regierungswechsel zieht machtpolitische Spielchen nach sich und kann zur Schließung einzelner Bordelle führen. Derzeitiger Deckmantel ist das Rehabilitationsprogramm der Regierungspartei BNP. Der Daily Star, die größte Tageszeitung Bangladeschs, schreibt am 25. Dezember 2002, dass ein Teil des Baniashanta-Bordells im Süden des Landes mit Bulldozern abgerissen wurde. Die Regierungserklärung dazu lautet: Jener Teil habe sich auf Regierungsboden befunden, der wiederum einer anderen Nutzung zugedacht war. Vierhundert Frauen verloren nicht nur ihren Arbeitsplatz, sondern auch ihr Zuhause.

Die regierende BNP, Bangladesh National Party, koaliert mit der islamisch- fundamentalistischen Partei Jamaat-e-Islami, die auf das konservative Rollenbild der Frau beharrt. Am 25. Juli 1999 berichtet der Daily Star: „Um vier Uhr nachts umstellten dreihundert Polizisten die Bordelle in Tanbazar und Nimtoll. Mit Lautsprechern forderten sie die Insassinnen auf, insgesamt zehn Busse zu besteigen, die sie ins Rehabilitationszentrum bringen. Da sich die Prostituierten weigerten, wurden sie kurzerhand gezwungen. Viele der Frauen konnten durch die Busfenster fliehen. Das Bordell wurde von offizieller Stelle geschlossen, die ohnehin wenigen Habseligkeiten der Frauen wurden sichergestellt.“

Seit 1999 wird regelmäßig über die Rehabilitationsmaßnahmen der Regierung berichtet. Der Daily Star veröffentlicht ebenso Artikel, die solche Eingriffe rechtfertigen. Der Autor ist als „Foreign Correspondent“ ausgewiesen und stammt vermutlich aus Regierungskreisen. Die Notunterkünfte des Rehabilitationszentrums bieten ausschließlich Verpflegung und nur vereinzelt die Möglichkeit zur Weiterbildung und Arbeit.

„Nach wie vor ist der Platz einer bengalischen Frau an der Seite eines Mannes“, erklärt Salim Chowdhury, Psychologe der Universität Dhaka. Chowdhury arbeitet seit mehreren Jahren in einer psychosozialen Beratungsstelle für Straßenkinder und Prostituierte. „Viele haben auffällige Verhaltensweisen entwickelt, wie eine vulgäre Mimik und Gestik. Auf der einen Seite erscheinen sie dadurch selbstsicher und durch ihre Beschimpfungen unangreifbar. Andererseits ist es für sie schwer, sich in ein neues Arbeitskollektiv und damit die Gesellschaft zu integrieren.“ Die ungünstigen Startbedingungen in ein bürgerliches Leben erklären, dass nur ein verschwindend geringer Teil auf Eigeninitiative hin das Bordell verlässt. Realistische Alternativen zum Leben als Prostituierte kennt kaum eine.

Ihre Kollegin, so hatte mir Manju erzählt, habe in Dhaka durch Zuspruch eine Anstellung in einem Schönheitssalon bekommen. „Eines Tages kam ein Mann in den Schönheitssalon, der sie wiedererkannte. Als der sich beschwerte, wurde die Frau entlassen, denn die Geschäftsführerin hatte Angst, dass die Kunden ausbleiben. Die Frau fand keinen passenden Job und kehrte ins Bordell zurück.“

Laut einer Studie des Bangladesh Development Service Centers haben 87,95 Prozent der Prostituierten keine formale Bildung, nur 7,73 Prozent können ihren Namen schreiben. Knapp 80 Prozent haben mindestens ein Kind. Fast alle geben an, dass sie lieber Schneiderin, Viehzüchterin oder Verkäuferin sein würden. Viele der Frauen träumen von einem Leben außerhalb des Bordells. Und sie glauben fest daran, durch gute Taten doch noch einen Platz im Himmel zu bekommen. Sie sind tief religiös, beten mehrmals täglich und unterstützen den Bau von Moscheen. Doch die islamischen Führer prophezeien den Prostituierten die Hölle. Sie haben gesündigt, haben außerehelich mit Männern geschlafen. „So entsteht ein großer Widerspruch, dem sich die Frauen nicht stellen, sondern durch exzessiven Drogenkonsum entziehen“, erklärt Chowdhury. Die angestauten Aggressionen der Frauen richten sich oft gegen sich selbst. „Knapp die Hälfte von ihnen bestraft sich durch Ritzungen an den Unterarmen.“ Wie hoch die Selbstmordrate unter den Prostituierten ist, frage ich ihn. Wieder kommt die Religion mit ins Spiel. „Im Vergleich zur Normalbevölkerung unwesentlich erhöht, denn Suizid ist die direkte Fahrkarte in die Hölle“, antwortet Chowdhury.

Bangladesch hat weltweit die größte Dichte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Auch vor den Toren dieses Bordells befinden sich vier Büros. Ich treffe mich mit dem Arzt der Krankenstation und frage nach seinen Erfahrungen. Abtreibung ist eigentlich gegen das Gesetz. Suchen jedoch die Frauen binnen fünfzehn Tagen nach Ausbleiben ihrer Menstruation den Arzt auf, darf dieser ganz legal „Regulationsmaßnahmen“ einleiten. Dabei ist das genaue Datum der letzten Blutung für den Arzt schwer bis gar nicht nachprüfbar. Zur Verdeutlichung des Eingriffs reißt er eine Plastiktüte auf und zeigt mir ein knapp dreißig Zentimeter langes Plastikröhrchen mit Saugmechanismus, das in die Vagina eingeführt wird.

Knapp sechzig Prozent der Frauen nehmen ärztliche Hilfe in Anspruch. Hingegen leiden nach groben Schätzungen rund achtzig Prozent unter Geschlechtskrankheiten. Trotz Aufklärungsveranstaltungen nutzen nur zwei Prozent kostenlos verteilte Kondome. Noch immer ist ein gutes Geschäft wichtiger als die Gesundheit.

Im Rahmen des Rehabilitationsprogramms unterstützt die Regierung Projekte von PIACT (Program for the Introduction and Adaptation of Contraceptive Technology), die zur Weiterbildung und Aufklärung der Frauen gedacht sind und medizinische Versorgung oder Betreuung der Kinder übernehmen. Über die Zusammenarbeit zwischen Regierung und NGOs, die nach Richtungsvorgabe des Sozialministeriums verläuft, hat der Programmkoordinator von PIACT, Samsul Alam Mian, nur Positives zu berichten. Von der negativen Berichterstattung in den Medien habe er nichts wahrgenommen.

Ohne die Unterstützung der Regierung hätten wir es beispielsweise nie geschafft, ein Stück Land neben dem Bordell zu erwerben. Dort können wir die Urnen der verstorbenen Frauen beisetzen und segnen. In einigen Gebieten werden die Körper aus der Not heraus dem Fluss übergeben“, erzählt Mian. „Auch könnten wir in unzähligen Gesprächen religiöse Führer und Politiker davon überzeugen, dass auch Prostituierte das Recht haben, sich in unserem Land frei zu bewegen, und nicht nur in das Bordellgebiet verwiesen werden. Unsere Regierung glaubt, durch Mauern die Gesellschaft vor der Sünde zu schützen.“ Stigmatisierungen durch die Bevölkerung seien nach Mians Darstellung nur ein Folgeproblem. „Bis vor drei Jahren durften die Prostituierten nur barfuß die Stadt betreten, heute nehmen sie am öffentlichen Leben von Dauladtia teil“, erklärt er.

Noch einmal gehe ich ins Bordellgebiet, in Manjus Hütte. Ich will mich von ihr verabschieden. Freundschaftlich hält sie meine beiden Hände und ist felsenfest davon überzeugt, dass die weiße Frau ihr Glück bringen wird. Aber ich muss versprechen, ihre Geschichte nicht in einer bengalischen Zeitung zu veröffentlichen. Zu groß ist ihre Angst, von den Stadtbewohnern beschimpft zu werden.

KATHRIN BÖHME, 26, arbeitet zurzeit an ihrer Dissertation im Fach Psychologie an der Universität Jena. Im Rahmen ihres Aufenthalts in Bangladesch engagiert sie sich für Projekte der Organisation NETZ Partnerschaft für Entwicklung und Gerechtigkeit e.V. (Infos unter www.bangladesch.org )