: Die Instanttherapie
Die „Familienaufstellung“ ist eine Erfindung von Suitbert „Bert“ Hellinger. Der 78-Jährige studierte Philosophie, Theologie und Pädagogik und ging 1953 mit den katholischen Mariannhiller Missionaren für 16 Jahre nach Afrika. Seit den 70er Jahren beschäftigt er sich mit Psychotherapie. Eine kassenärztliche Zulassung als Psychotherapeut hat er nicht.
Die Familienaufstellung nach Bert Hellinger ist ein Rollenspiel, das Therapeut und Therapiewillige gemeinsam spielen. Die Spielregeln sind immer gleich: Ein Klient erklärt in zwei, drei Sätzen sein persönliches Problem, der Therapeut fragt nach Schicksalsschlägen in der Familie, verborgenen Konflikten, den „Leichen im Keller“. Dann beginnt die eigentliche Aufstellung: Der Klient wählt aus den Teilnehmern Stellvertreter aus, diese verkörpern den Klienten und seine Familie. Vater, Mutter, Großeltern, alle wichtigen Familienmitglieder bekommen ihren Platz im Verhältnis zum Klienten zugewiesen – sie wenden sich ihm zu oder von ihm ab, stehen in seiner Nähe oder weiter weg.
Laut Hellinger entsteht aus dieser räumlichen Anordnung ein „wissendes Feld“, durch das die Teilnehmenden tatsächlich die Gefühle der realen Familienmitglieder nachempfinden könnten. Der Therapeut beginnt nun, diese Gefühle „anzuzapfen“ und daraufhin die Familienstrukturen nach eigener Inspiration zu deuten, indem er deren Aufstellung neu arrangiert.
Ziel des Ganzen ist es, familiäre Verstrickungen aufzudecken und den Betroffenen mit der „Familienseele“ zu versöhnen. Diese „Familienseele“ ist eine Art Energiefeld, das aus sämtlichen Familienmitgliedern, Lebenden wie Toten, besteht. Da die „Familienseele“ auf Harmonie gründet, müssen Probleme ausgeglichen werden. Geschieht dies nicht in der betroffenen Generation, so wiederholt sich das Problem in anderer Form in den folgenden Generationen. Die „Familienaufstellung“ versöhnt solche Konflikte. Versöhnung heißt hier auch Unterwerfung unter ein patriarchalisches Familienbild – in dem der Vater das Familienoberhaupt ist, dem Mutter und Kinder nachfolgen.
Die Grauzone zwischen Esoterik und Therapie ist für Bert Hellinger ein lohnendes Geschäft, mehr als eine halbe Million Lehrbücher hat er inzwischen verkauft. Insgesamt offerieren um die 2.000 Anbieter „Familienaufstellung nach Hellinger“ – anerkannter Therapeut muss dafür allerdings niemand sein, wie auf Hellingers Homepage www.hellinger.com nachzulesen ist: „Wer mit dem Ansatz Bert Hellingers arbeiten will, kann dies jederzeit entsprechend seinen Fähigkeiten und seiner eigenen Verantwortung tun.“ Viele „Familiensteller“ beziehen ihr Wissen aus Hellingers Büchern und Seminaren und aus der eigenen spirituellen Erfahrung. Hellingers Methode verspricht im Gegensatz zu anderen Therapieformen schnellen Erfolg: Ein Hellinger-Seminar dauert ein verlängertes Wochenende, einmal Familienstellen eine halbe Stunde.
Die Therapie zum Mitnehmen birgt Risiken, denn eine Nachbehandlung nach dem effektvollen Aufstellen gibt es nicht. Wie labile Personen mit ihren aufgewühlten Emotionen umgehen, ist wieder Sache der klassischen Psychotherapie. Hellinger möchte jedenfalls keine Verantwortung übernehmen. Auch nicht für den Selbstmord einer Teilnehmerin im Jahre 1997, nach einem Familienstellen mit Hellinger.
Die Instanttherapie aus Familiengeschichte und Versöhnung zeigt sich auf Hellingers Homepage als Weltinterpretationsmaschine. Denn hier kommentiert er außer dem 11. September 2001 auch NS-Täter unter dem alles verstehenden Blickwinkel der Biografie. SS-Täter sind laut Hellinger „die ärmsten Opfer. Sie haben es am Ende am schwersten.“ DANIEL STENDER