Schärfer ist einfach besser

Kräuter und Gewürze sind gesund. Trotzdem würzen die Deutschen heute weniger als vor 100 Jahren. Die Südländer machen es uns vor: In heißen Ländern wird scharf gegessen. Weil es schmeckt – aber auch, weil es Bakterien den Garaus macht

VON LARS KLAASSEN

Gewürze aus aller Welt stehen in fast jeder Küche. Aber der Eindruck, dass Pfeffer, Chili & Co. unser Essen kräftig würzen, täuscht: In puncto Geschmack sind die Deutschen relativ fad. Noch vor 100 Jahren verwendeten sie durchschnittlich 60 Gramm Gewürze täglich. Heute sind es gerade einmal 3 Gramm.

Dabei waren und sind viele Gewürze gleichzeitig Heilmittel. Manchmal kann der Griff zum Kräuter- und Gewürzregal sogar den Arztbesuch ersparen – heißt es jedenfalls über Omas Hausrezepte: Gewürze sollen Entzündungen hemmen, den Blutdruck senken oder die Immunabwehr stärken. Zu den Inhaltstoffen, die das leisten, gehören Flavonoide – sie sorgen für die Schärfe der Chili und für den bitteren Geschmack von Pampelmusen – sowie Sulfide, die Zwiebeln und Lauch ihren strengen Geruch verleihen.

Von den betreffenden Pflanzen werden Wurzeln, Rinde, Sprossen, Blätter, Blüten, Früchte, Knospen und Samen verwendet. Rund vierzig verschiedene Gewürzpflanzen haben heute weltweite Bedeutung, darunter vor allem Pfeffer, Chili, Kümmel und Kreuzkümmel, Senfkörner, Oregano, Knoblauch, Zwiebeln, Nelken, Salbei, Fenchel, Muskat, Basilikum, Currymischungen und Ingwer. Letzterer enthält zitronige ätherische Öle. Die Gingerole – in ihrer chemischen Struktur der Wirksamkeit von Acetylsalicylsäure im Aspirin ähnlich – hält das Blut flüssig und beugt so Thrombose und Schlaganfällen vor.

Gesicherte Untersuchungsergebnisse, dass der gezielte Einsatz von Gewürzen in der Küche Krankheiten vorbeugen kann, gibt es nicht. Die Ärztezeitung schreibt aber, dass zum Beispiel leichte Schlafstörungen mit Melisse, Johanniskraut, Passionsblume und Hopfen behandelt werden können. Vorteil: ein geringes Risiko, abhängig zu werden und kaum unerwünschte Nebenwirkungen. Vielen Gewürzen wird vor allem bei Erkältungen Heilkraft zugesprochen: Thymian, Rosmarin, Kamille, Pfefferminze. Bei Entzündungen und Wunden versprechen Salbei, Sonnenhut und Arnika Linderung. Pfeffer soll bei Verdauungs- und Magenproblemen helfen.

Es spielt übrigens keine große Rolle, ob Gewürze getrocknet oder frisch verwendet werden. Aber Achtung: Gewürze erst kurz vor dem Verzehr beigeben. Werden sie zu heiß oder verbrennen sogar, verlieren sie die Inhaltstoffe und werden bitter. „Auf künstliche Gewürzextrakte in Pillenform sollte man allerdings verzichten“, rät Hella Thomas, Ernährungsexpertin der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK). „Die genauen Wirkmechanismen in konzentrierter Form sind bislang zu unbekannt.“

Bekannt ist hingegen schon lange, dass Gewürze „Bakterienkiller“ sind. Das belegte eine Studie der Cornell University in New York bereits Ende der 1990er-Jahre. Sie verglich über 4.500 internationale Rezepte und berücksichtigte dabei das Klima der Herkunftsländer sowie deren Umgang mit rund 40 Gewürzen. Gerade in heißen Ländern wird häufig scharf gegessen, weil das Würzen die Vermehrung von Bakterien und Pilzen im Darm unterdrücken kann. Knoblauch, Zwiebeln und Oregano stehen ganz oben auf der Liste. Es folgen Thymian, Estragon, Zimt und Kümmel, die immerhin noch gegen 80 Prozent aller Lebensmittelbakterien helfen.

Weniger hilfreich, als viele das wahrhaben wollen, ist hingegen das „Schnäpschen danach“. „Die wohlige Wirkung kommt eher vom Alkohol. Nur so genannter Kräuterschnaps regt wirklich die Verdauung an“, erklärt Thomas. Der positive Effekt des Kräuterschnapses nach dem Essen liegt allerdings nicht am Alkoholgehalt, sondern entsteht durch die Kräuter. „Ein Kräutertee nach dem Essen hat also die gleiche Wirkung“, urteilt Thomas. „Auch wenn man das Essen mit Kräutern würzt, wird die Verdauung gefördert.“ Kümmel, Lorbeer, Bohnenkraut oder Fenchel sind hierfür besonders geeignet.