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Archiv-Artikel

Lehmann gegen das „Verhungernlassen“

Bischöfe und Ärzte streiten darum, ob künstliche Ernährung zur Basisversorgung schwer Kranker zählt

FREIBURG taz ■ „Menschen einfach verhungern zu lassen, das ist ethisch nicht erlaubt“, sagte Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz, nach dem Tod der amerikanischen Komapatientin Terri Schiavo. Er gießt damit Öl ins Feuer der deutschen Diskussion um die Neuregelung von Patientenverfügungen.

Derzeit ist die Frage, unter welchen Bedingungen eine künstliche Ernährung abgebrochen werden kann, nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof 2003 aber drei Bedingungen aufgestellt. Demnach ist ein Behandlungsabbruch, der zum Tode führt, möglich, wenn es dem erklärten Willen des Kranken entspricht, wenn das Vormundschaftsgericht dem Behandlungsabbruch zustimmt und wenn die Krankheit bereits einen „irreversiblen tödlichen Verlauf“ genommen hat. Ob das Wachkoma als „irreversibel tödlich“ gilt, ist unter Juristen umstritten. Noch in diesem Jahr will der Gesetzgeber die Wirkung und Reichweite von Patientenverfügungen zum Behandlungsabbruch regeln.

Wenn es nach Justizministerin Zypries geht, kann im Rahmen einer Patientenverfügung auch angeordnet werden, dass auf künstliche Ernährung verzichtet wird. Die Medizin-Enquetekommission des Bundestags formuliert scheinbar enger: „Maßnahmen der Basisversorgung können durch Patientenverfügung nicht ausgeschlossen werden.“ Doch gehört die Ernährung durch eine Magensonde noch zur Basisversorgung wie Körperpflege? Oder ist dies eine medizinische Behandlung, die nicht gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden darf? Die Enquetekommission lässt die Frage bezeichnenderweise offen.

Für die katholische Kirche gehört die künstliche Ernährung – trotz des sprachlichen Widerspruchs – zu den „natürlichen Mitteln der Lebenserhaltung“. Deshalb die harten Worte von Kardinal Lehmann.

Dagegen sieht die Bundesärztekammer in ihren Richtlinien zur Sterbebegleitung die Ernährung mittels einer Magensonde als medizinische Behandlung, über die der Arzt entscheiden muss, da sie gerade im letzten Sterbeprozess auch zur Belastung werden kann. Dagegen soll das „Stillen von Hunger und Durst“ zur Basisbetreuung gehören. Die Ärzte gehen davon aus, dass „das subjektive Durstgefühl am Ende des Lebens nicht mit der Flüssigkeitszufuhr korreliert, sondern wesentlich durch die Trockenheit der Mundschleimhäute bestimmt wird“, erläutert Eggert Beleites der Ethikexperte der Bundesärztekammer. Aus medizinischer Sicht wirkt es deshalb eher polemisch, wenn davon gesprochen wird, man habe Terri Schiavo „verhungern und verdursten“ lassen. Eine eindeutige gesetzliche Regelung ist aber auf jeden Fall sinnvoll. Hauptstreitpunkt im Bundestag ist aber, ob Patientenverfügungen im Falle eines Wachkomas überhaupt verbindlich sein sollen (taz berichtete).

Die Aufregung um Terri Schiavo nutzte gestern auch eine Initiative „Recht auf Essen und Leben“. Ihr geht es aber nicht Fragen der passiven Sterbehilfe, sondern um die Kosten der künstlichen Ernährung. Nach Darstellung der Initiative hat der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen im Februar beschlossen, die Finanzierung von Sondennahrung in bestimmten Fällen, zum Beispiel bei Demenzkranken, nicht mehr durch die Kassen zu bezahlen. Initiativen-Sprecher Armin Nentwig forderte nun Gesundheitsministerin Ulla Schmidt auf, diesen Beschluss nicht umzusetzen.

Im Gesundheitsministerium prüft man den Vorgang noch, gibt allerdings zu bedenken: „Wenn Kranke im Pflegeheim künstlich ernährt werden, nur damit man Personal sparen kann, dann ist dies nicht im Interesse der Menschen und auch nicht Aufgabe der Kassen, dies zu bezahlen.“ CHRISTIAN RATH