„Wir haben ein politisches Herz“

INTERVIEW DANIEL BAX
UND THOMAS WINKLER

taz: „Reicht uns wehende Fahnen, damit unterzugehen“ heißt es in eurem neuen Song „Gekommen, um zu bleiben“. Sind Wir sind Helden die Stimme einer Generation?

Mark Tavassol: Natürlich hat man eine Meinung zu politischen oder sozialen Themen, und es ist eine Herausforderung, sich zu vergegenwärtigen, dass man eine Stimme bekommt. Aber man darf auch nicht unterschätzen, dass es immer Gegenstimmen gibt. Man wird ständig daran erinnert, dass man Sachen nicht einfach daher sagen sollte.

Judith Holofernes: Wir haben auf jeden Fall keine Lust, uns auf irgendwas festlegen zu lassen.

Am Montag erscheint euer neues Album „Von hier an blind“. Alle erwarten, dass es sofort auf Platz eins der Charts einsteigt. Ihr seid zu einer Konsensband geworden.

Jean-Michel Tourette: Das ist ein Ausdruck, den ich nicht gut heißen möchte. Konsens hat für mich immer was mit Kompromiss zu tun. Kompromisse macht man immer, aber die Liste an Sachen, die wir nicht machen, ist mindestens genauso lang wie die Liste an Sachen, die wir mitmachen.

Ist es ein Kompromiss, dass ihr heute Abend bei der Verleihung des Musikpreises Echo auftreten werdet?

Tavassol: Finde ich nicht. Man muss mit seiner Minderheitenmeinung ja nicht alle Foren meiden, in denen sonst die Durchschnittsmeinung vertreten wird.

Auch wenn ihr euch noch ein wenig wehrt: Ihr seid fast da angekommen, wo Grönemeyer oder Westernhagen schon sind. Wie fühlt sich das an, diese Macht zu haben?

Tourette: Mit dem Wort Macht habe ich ein Problem. Natürlich setzen wir uns damit auseinander, dass wir jetzt so groß geworden sind. Aber wir fühlen uns immer noch wie vier Menschen auf Klassenfahrt, die einfach viel Spaß dran haben, Musik machen zu dürfen. Wir sind nicht größenwahnsinnig geworden, wir schreiben die Musik, die uns entspricht und die uns auch vor drei Jahren entsprochen hätte. Da gab es keine große Veränderung.

Aber das Musikgeschäft hat sich mit eurem Erfolg verändert: Allein die Plattenfirma Universal hat im vergangenen Jahr 30 neue deutsche Acts verpflichtet. Bekommt man Angst vor der Verantwortung, den Overkill angestoßen zu haben?

Pola Roy [lacht]: Die Schuldfrage?

Ja, wenn man so will, die Schuldfrage.

Holofernes: Das sind zwei unterschiedliche Punkte: Einmal, ob diese Bands, von denen wir gerade gesprochen haben, gute Bands sind oder nicht. Das andere ist die Frage, wie ein solches System wie die Musikindustrie seine Ordnung wiederherstellt, wenn es zwischenzeitlich durch den unerwarteten Erfolg einer Band wie – sagen wir mal – Wir sind Helden erschüttert worden ist. Wir glauben nicht, dass wir irgendeine Ordnung erschüttert haben. Wir haben uns vielleicht dran vorbeigeschlichen.

Jede etwas größere deutsche Plattenfirma sucht seit einem Jahr nach den neuen Helden.

Holofernes: Stimmt. Da kann man auch nicht drüber weg lügen. Wir finden das eher lustig, dabei zuzugucken. Die Industrie wird immer weiter versuchen, Erfolg zu reproduzieren. Das wird in manchen Fällen funktionieren, wenn man ganz viel Geld rein bläst, und in anderen nicht. Wir hoffen aber, dass auch unser Weg ein paar Nachahmer findet: Dass junge Bands darauf achten, wie sie ihre Verträge gestalten. Oder gar keine Verträge unterschreiben und lieber selbst ein Label aufmachen.

Warum gründet ihr denn nicht euer eigenes Label?

Holofernes: Wir haben uns das schon mal überlegt, aber dann doch nicht gemacht. Ein Grund war, dass wir uns den ganzen Tag am Telefon gesehen haben. Wir mögen es zwar, alle Bereiche um die Musik herum zu gestalten, aber wir hängen auch nicht sehr daran, alle Telefonate selbst zu machen. Das kann einen auch wahnsinnig von der Musik ablenken. Dann bekamen wir die Chance, mit den Leuten von „Labels“ zusammenzugehen. Und mit denen sind wir sehr glücklich.

Auch die Erwartungen an euch sind gestiegen. Und vielen Fans seid ihr einfach zu groß geworden.

Roy: Egal, ob das jetzt mit dem Gehype weiter- oder mit dem Runtergeschreibe losgeht: Wir machen weiter als Band.

Tavassol: … und wenn wir nach Marktkriterien untergehen, heißt das noch lange nicht, dass wir nach eigenen Maßstäben untergegangen sind.

Plötzlich ist man eine gesellschaftlich relevante Stimme, und muss sich mit dem U2-Problem rumschlagen. Man hat Verantwortung.

Tavassol: Ja, man wird vom Musiker zum Meinungsbildenden. Es ist ja gar nicht so verkehrt, gefragt zu werden, was man über dieses oder jenes denkt. Und ohne kommerziellen Erfolg kann man diesen Zustand nicht erhalten. Das ist kein schlechtes Gefühl. Die T-Shirts, die wir verkaufen, können wir einfach nicht mehr selbst bemalen wie in den Anfangstagen. Wir achten aber noch darauf, dass unsere Shirts nicht in Indien von Kindern zusammengenäht und gefärbt werden. Wenn man dann noch die Leute, die den Verkauf regeln, vernünftig bezahlt, wenn wir also zur Produktionskette stehen können, dann bleibt unterm Strich halt kein allzu großer Gewinn mehr.

Fehlen auf dem neuen Album deshalb die Themen, mit denen ihr bekannt geworden seid, vor allem die Konsumkritik aus eurem ersten Hit „Die Reklamation“?

Holofernes: Natürlich ist da ein Grinsen dabei, das Bedürfnis nach noch mehr Konsum- oder Medienkritik nicht zu erfüllen. Im letzten Jahr haben wir darüber ziemlich ausführlich geredet …

Das war in vielen Interviews das Hauptthema.

Holofernes: … und wir haben dabei die hintersten Winkel des Themas so ausgeleuchtet, dass es um den ursprünglichen Song nur mehr mikroskopisch ging. Wir waren dankbar, das so ausführlich tun zu können, weil uns die Themen ja auch wichtig sind, aber jetzt würden wir wirklich ins Schwafeln kommen, wenn wir das noch breiter treten würden. Ich finde es wichtig, bei den Themen zu bleiben, über die man im Moment gerade mit Liebe und Begeisterung sprechen kann, und das sind momentan für mich vielleicht sogar existenziellere Themen wie Abschied, Trennung, Glückssuche.

Der Rückzug ins Private?

Holofernes: Ich habe das Gefühl, mir geht es immer noch um Unabhängigkeit und Freiheit und um die generelle Glücksuche, aber halt auf einem persönlicheren Level. Es geht darum, sich von Dingen zu befreien, die einen unglücklich machen, von Ängsten, von Anhaftungen. Wir hatten auch bei der ersten Platte das Gefühl, wir sprechen über die Dinge, die uns beschäftigen, die uns am Herzen liegen. Das weiter so zu halten, dem wollten wir uns verpflichten und uns nicht den Themen verpflichten.

War Wir sind Helden womöglich nie eine politische Band?

Holofernes: Das nicht so einfach. Wir haben ein politisches Herz. Ich persönlich bin da politisch, wo es um Unabhängigkeit und um Befreiung von Selbstverständlichkeiten und Zwängen geht. Aber ich bin relativ schlecht in der Tagespolitik. Ich kann mich dafür nicht begeistern, weil mir die Regelmäßigkeiten zu sehr ins Auge stechen, und ich finde es sehr schnell sehr deprimierend. Wir sind auf unterschiedliche Weise politische Menschen. Aber wenn mich zur letzten Platte jemand gebeten hätte, zwei Stunden lang zum Thema Liebeslieder zu reden, dann hätte ich das wahrscheinlich mit der gleichen Begeisterung getan.

Aber es ist einfacher, Stunden über Politik zu plaudern als über Liebeslieder.

Holofernes: Finde ich nicht. Nichts ist so schwierig, wie in einem so ausgeloteten Genre noch die Winkel zu finden, wo es wirklich weh tut.

Wer konnte das besonders gut?

Holofernes: Was Deutschsprachiges angeht, bestimmt Ton Steine Scherben. Auch Sachen aus dem HipHop-Bereich. Aber das, was ich wirklich viel gehört habe, war eher englischsprachig, Elvis Costello zum Beispiel. Ich habe selbst auf Deutsch geschrieben, weil es direkter ist und sich besser anfühlt.

Kann politischer Pop etwas erreichen?

Tourette: Im Kleinen. Man erreicht immer wieder, dass sich Einzelne mit einem Thema auseinander setzen, das ihnen vorher nicht so bewusst war. Da hat man schon etwas erreicht.

Tavassol: Ich bin Mediziner, und mir ist es wichtig, dass wir „Ärzte ohne Grenzen“ unterstützen, aber wir hängen das nicht an die große Glocke. Wir geben organisierten Menschen ein Forum über unsere Website, die haben Infostände bei unseren Konzerten. Uns allen war beispielsweise sehr wichtig, dass wir im Hamburger Schanzenviertel in der Roten Flora spielen. Zu einem Zeitpunkt, an dem wir schon jemand waren, war das ein Statement gegen die Tendenz, einen Stadtteil zugunsten der Spekulanten aufzugeben. Gerade lokale Entwicklungen liegen mir sehr am Herzen. Wir könnten da auch hingehen und uns anketten, aber als Band haben wir halt andere Möglichkeiten.

Ihr habt ja auch beim 25. taz-Geburtstag gespielt.

Tavassol: Das war für uns gar keine Frage. Ich will niemanden bauchpinseln, aber ich mag die taz. Und der taz geht es ja nicht immer so gut.

Jedenfalls nicht so gut wie euch.

Tavassol [lacht]: Aber dafür werden wir sicherlich nicht so viele Jahre existieren wie die taz.