: berliner szenen Das Alphabet der Stadt
D wie Dahlem
Es war schon März, als die Mail kam: „Bitte machen Sie sich umgehend nach Dahlem auf.“ Ich wunderte mich. Was sollte ich in Dahlem? Der Ortsteil war mir nur von Buchtiteln wie „Brennen muss Dahlem“ oder „Dahlem – offene Stadt“ bekannt. Grob wusste ich auch, dass sich die FU dort befand. Auch der Bundespräsident soll da weilen – wo sein eigentliches Domizil doch gerade umgebaut wird.
Gespannt saß ich also in der S-Bahn. Am Heidelberger Platz war ich kurz etwas traurig, aber das verging. Auf dem letzten Stück U3 saß mir ein Hippiefräulein mit einer Vorliebe für Grün gegenüber und las Spiegel. Eine Studentin? Eine Aushilfskraft des Präsidenten? Ich beschloss, mich an ihre Ferse zu heften: Es ging durch die seltsam burleske Haltestelle „Dahlem Dorf“, dann die Landstraße entlang und später über eine Fußgängerbrücke. Am Rand packten asiatisch aussehende Herren Schnee in eine Plastiktüte. Souvenirs für zu Hause. Wir kreuzten den „Rudi-Dutschke-Weg“ und betraten einen Gebäudekomplex, dessen Bauweise nach sozialdemokratischer Architektur aus den 70ern aussah. Eine Realschule? Ein Stadttheater? Nein, es war die FU.
Beim Gang durch die „K-Straße“ befiel mich Nostalgie: Überall hingen politische Plakate neben Werbung für Probeabos und Yogakurse. In Köln sah es genauso aus. Ziel der grünen Studentin war natürlich die Caféteria, wo der Kaffee trotz Porzellantasse nach Pappe schmeckt und die Tischlampen wie schöne UFOs aussehen. Dann habe ich sie leider aus den Augen verloren. Im „Alten Krug“, dem stadtbekannten Restaurant, habe ich sie nicht wieder gefunden, in der „Domäne“ auch nicht. Beim Präsidenten war sie ebenfalls nicht. Wahrscheinlich ist sie in der Masse aufgegangen. RENÉ HAMANN