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Archiv-Artikel

Zwischennutzung als Chance und Dilemma

In einem Gutachten im Auftrag von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer werden Zwischennutzungen erstmals systematisch erfasst. Das Ergebnis ist ein aufregendes Plädoyer für eine neue Stadtplanungskultur in Berlin

Ist Berlin noch planbar? Wie wichtig diese Frage auf der Agenda ist, zeigt ein Blick auf den östlichen Spreeraum. Für die Bezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sowie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war das Areal zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke einmal ein planerisches Geschenk gewesen. Nach der Kriegszerstörung schienen die Brachen an beiden Ufern wie geschaffen für eine City-Erweiterung und das Planerdauerthema „Berlin am Wasser“.

Von all den schönen Plänen ist nur ein kleiner Teil verwirklicht. Nicht für Immobilienentwickler, sondern für Zwischennutzer ist der Spreeraum ein Tummelfeld geworden. Badeschiff, Wagenburgen, Oststrand, das ist die Realität. Die Wirklichkeit hat die Planung überholt. Es spricht für Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD), dass sie sich dieser Wirklichkeit annehmen will. Mehr noch: In dem Gutachten zu den „Raumpionieren“, das die Büros cet-0 und studio urban catalyst in ihrem Auftrag erarbeitet haben und das in der Ausstellung „räume – pioniere – ideen“ einsehbar ist, werden „Nutzungen, die sich in ökonomisch nicht mehr verwertbaren Räumen entfaltet haben“, gar als wesentliches Merkmal des „Neuen Berlin“ anerkannt.

Dabei ist „Zwischennutzung“ als Begriff so ungenau wie „Planung“ Konkretheit suggeriert. Die Hausbesetzungen der 80er-Jahre waren Zwischennutzung ebenso wie das VitraDesign-Museum, der „Volkspalast“ oder Alexandra Hildebrands Holzkreuze am Checkpoint Charlie.

Letzteres erklärt sogar beispielhaft, warum sich viele Eigentümer immer noch schwer tun mit der temporären Bespielung ihrer leeren Flächen. „Die Hauptangst des Eigentümer besteht darin, die Zwischennutzer nicht mehr aus ihren Gebäuden herauszubekommen“, sagte eine Bewag-Vertreterin bei einem Symposium der Gutachterbüros.

Andererseits klagen die Zwischennutzer über Verträge mit einer Kündigungsfrist von einem Monat. Noch immer träumt der Eigentümer vom richtigen, dem solventen Mieter. So ist Zwischennutzung nicht nur Chance, sie ist auch Dilemma.

Aus diesem Dilemma herauszukommen ist neben einer Typologie der Zwischennutzungen das Hauptanliegen der von Junge-Reyer in Auftrag gegebenen Studie. Das betrifft nicht nur die Verträge zwischen Eigentümern und Nutzern selbst. Auch die öffentliche Hand ist als Akteur nicht selten beteiligt – und Hindernis zugleich. Zahlreiche Beispiele zeigen, wie manche Genehmigungsverfahren den Betreibern von Strandbars oder Spielplätzen die Zwischennutzung zum Albtraum machen.

Nicht immer ist dabei böser Wille im Spiel. Dem Baurecht geht es schließlich nicht anders als der Stadtplanung. Es stammt aus einer Zeit, in der eine Brache noch eine Aufgabe für Architekten und verbeamtete Stadtplaner war, nicht aber Tummelfeld für alternative Nutzungen. Kein Wunder also, dass viele Zwischennutzungen nur dort entstehen, wo die Sachbearbeiter in den Bezirks- und Senatsverwaltungen die Vorschriften auch offensiv auslegen. Auch da will Junge-Reyer wohl etwas nachhelfen. Das Gutachten, das sie in Auftrag gegeben hat, ist jedenfalls ein aufregendes Plädoyer für eine neue Stadtplanungskultur in Berlin. UWE RADA