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Archiv-Artikel

Nehmen Sie Platz!

Berlin hat kein Geld, aber leere Flächen und Immobilien en masse. Die Stadtentwicklungssenatorin hat das Potenzial von Zwischennutzern erkannt und fordert ein Umdenken bei den Planern. Potenzielle Nutzer pochen auf langfristige Perspektiven

VON GEREON ASMUTH

„Planern wie uns kann das Angst machen“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD). Gemeint sind die Zwischennutzungsprojekte, die bei der Eröffnung der Ausstellung „räume – pioniere – ideen“ präsentiert wurden. Die von Junge-Reyer geförderte Schau zeigt Anwohnergärten in Friedrichshain, Stadtstrände oder die Arena, die aus einer „sanften Besetzung“ hervorgegangen ist und sich längst als Kulturzentrum etabliert hat. Selbst auf Wagenburgen – in den 90er-Jahren noch ein Schandfleck – ist man inzwischen stolz. Nun sind sie plötzlich Pioniere, auch in den Augen einer Senatorin.

Es sind nicht die „Zwischennutzungen“, die Junge-Reyer Angst machen, sondern der Zustand der Berliner Stadtplanung. All diese Projekte wurden nämlich von unten angeschoben – unabhängig, teils im Widerspruch zur offiziellen Planung. Genau deshalb forderte Junge-Reyer bei der Ausstellungseröffnung nicht weniger als den Abschied von einer auf Dauer ausgerichteten Stadtentwicklung.

Dieser Perspektivwechsel ist dringend nötig. Denn das Land hat zwar kein Geld, dafür aber umso mehr ungenutzte Immobilien. „120 leere Standorte sozialer Infrastruktur allein in Hellersdor-Marzahn“, nannte Junge-Reyer. Oder auch 143 Hektar freiwerdender Friedhofsfläche. Da scheint jede Menge Platz für neue Pioniere.

Doch in der Realität sind die Hürden hoch, weiß der Projektentwickler Fabian Tacke. Mit dem Verein Start e. V. initiierte er 1997 die Kulturfabrik am Flutgraben in Treptow. Innerhalb von nur zwei Tagen wurde das Haus an 60 Künstler vermietet. Das Gebäude war privat. Bei der öffentlichen Hand würden solche Initiativen immer noch auf Granit beißen, klagt Tacke.

Zwar haben Senat und Abgeordnetenhaus erst kürzlich beschlossen, landeseigene Grundstücke an förderwürdige und gemeinnützige Träger zu vergeben. „Doch man kommt erst gar nicht dazu, ein vernünftiges Angebot abzugeben“, sagt Tacke. Denn nirgendwo gebe es Informationen darüber, welche Gebäude frei seien oder künftig freri würden.

Ähnliche Erfahrungen machte Stefanie Raab von der Zwischennutzungsagentur. Die vermittelt – etwa für den DesignMai in Treptow – leer stehende Läden an Künstler, meist für die bloßen Betriebskosten. Davon würden auch die Eigentümer profitieren, ihre Immobilien würden durch die Nutzung aufgewertet und zudem vor Verfall geschützt. Mit privaten Besitzern sei die Zusammenarbeit wesentlich unkomplizierter als mit der öffentlichen Hand – die setze schon die Betriebskosten zu hoch an.

Und sie hat sich noch nicht von einer rein fiskalischen Verwertung verabschiedet. Abgeben will das Land nur „schwer verkäufliche Immobilien“. Und dann auch nur, wenn die Zwischennutzung einen möglichen Verkauf nicht gefährde. Dabei müsste es genau umgekehrt sein, fordert Fabian Tacke. Erst wenn kreative Nutzer eine langfristige Perspektive erhielten, könne die Vergabe der Immobilien zum Instrument nachhaltiger Wirtschaftsförderung werden.

Doch das ist nicht überall gewünscht, auch nicht bei Junge-Reyer. Mitunter, sagt sie, müsse man Zwischennutzungen auch beenden. Etwa im Palast der Republik: „Im Herbst ist definitiv Schluss.“