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Archiv-Artikel

FELIX LEE POLITIK VON UNTEN G 8 nicht mehr wichtig, Protest auch nicht

Wer sich nicht vorstellen konnte, wie es aussieht, wenn eine soziale Bewegung ihr Ende erreicht, konnte das gerade in Italien besichtigen

Der Anfang einer sozialen Bewegung ist in der Regel leicht ausgemacht. Meist handelt es sich um eine Demo zu einem schon länger brodelnden Thema, das die Leute aufbringt. Und wenn es zu einer überraschend hohen Zahl an TeilnehmerInnen kommt, dann ist damit die Geburtsstunde markiert. Doch wie sieht es mit dem Ende aus? Das ist in der Regel weit schwieriger auszumachen. Normalerweise schrumpft eine Bewegung über einen sehr langen Zeitraum hinweg ganz sang- und klanglos zusammen, bis nur noch eine Handvoll von besonders hartgesottenen Aktiven übrig bleibt, ohne dass irgendjemand davon etwas mitbekommt. Das hat auch meist gute Gründe: Die Verbliebenen selbst haben wenig Interesse, dass ihre Bewegung totgesagt wird. Und die Öffentlichkeit bekommt schlicht und einfach nicht mit, dass nichts passiert.

Anders in diesen Tagen in Italien. Acht Jahre nach Genua, wo 2001 die größten globalisierungskritischen Proteste überhaupt stattfanden, gab es vergangene Woche turnusgemäß erneut einen G-8-Gipfel in Italien. Das Sicherheitsaufgebot war ähnlich hoch. Nur von den einst über 300.000 GlobalisierungskritikerInnen, die in Genua die Straßen bevölkerten, war in L’Aquila nichts zu sehen. Zu Gipfelbeginn versammelten sich vielleicht 500 No-Globals in Rom. Zum Gipfelende zogen rund 1.000 DemonstrantInnen durch L’Aquilas Innenstadt – die sich jedoch explizit nicht in Gegnerschaft zur G 8 sahen, sondern als Opfer des Erdbebens, das drei Monate zuvor die Gegend heimgesucht hatte. Ihr Unmut richtete sich vor allem gegen die unzureichende Wiederaufbauhilfe der Regierung Berlusconi.

Wo sind all die vielen GlobalisierungskritikerInnen geblieben, die immerhin auch vor zwei Jahren noch zu Zehntausenden die Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm blockierten? Die italienischen G-8-GegnerInnen erklären die geringe Beteiligung mit Silvio Berlusconis geschmackloser Gerissenheit. Italiens durchtriebener Ministerpräsident lag mit seiner Einschätzung ganz richtig, dass die Demonstranten schon nicht so taktlos sein würden, in einem Erdbebengebiet auf die Barrikaden zu gehen. Das hat viele AktivistInnen tatsächlich von L’Aquila abgehalten – abgesehen davon, dass in einem Katastrophengebiet, in dem die meisten Bewohner notgedrungen ohnehin in Zelten hausen, zusätzliche Protestcamps kaum zu organisieren sind.

Die deutsche globalisierungskritische Szene wiederum meint, die Gruppe der sieben Industriestaaten plus Russland sei ohnehin nicht mehr das Gremium, Antworten auf die schwerwiegendsten globalen Probleme wie Klimawandel, Wirtschaftskrise und Massenarmut zu finden – ergo lohne auch die Mobilisierung zum Protest nicht. Stattdessen verweist man auf das Treffen der G 20 Ende September in Pittsburgh, wo mit den großen Schwellenländern – allen voran China und Indien – die eigentlichen Entscheidungen fallen würden.

Doch beides beantwortet nicht die Frage, wo die Protestmassen von einst geblieben sind. Weder haben die italienischen No-Globals die Chance genutzt, sich im 100 Kilometer entfernten Rom zu versammeln. Noch ist damit zu rechnen, dass sich nun Tausende von deutschen und anderen europäischen Globalisierungskritikern statt nach L’Aquila im September auf den Weg über den Atlantik nach Pittsburgh machen werden.

Drei junge deutsche Protestierwillige sind mir in Rom bei der mickrigen Protestauftaktkundgebung dann doch begegnet. Völlig desorientiert fragten sie, warum es denn nirgends eine Übernachtungsmöglichkeit für sie gebe und sie auch sonst das Gefühl hätten, dass für den Protest gar nichts organisiert sei.

So also sieht das Ende einer Bewegung aus.

■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen Foto: Wolfgang Borrs