: „Es ist eine offene Schuld“
ARGENTINIEN Vor fünfzehn Jahren wurde ein jüdisches Zentrum in Buenos Aires Ziel eines Anschlags. Die Schuldigen sind immer noch nicht verurteilt, beklagt Aldo Donzis
■ ist Präsident der Delegación de Asociaciones Israelitas Argentinas (Deia), ein Zusammenschluss von rund 150 jüdischen Organisationen, Schulen und Synagogen in Argentinien (vergleichbar mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland).
taz: Herr Donzis, der Anschlag auf das jüdische Hilfswerk Amia mit 85 Toten jährt sich heute zum 15. Mal. Bisher ist niemand für das Attentat verurteilt worden. Wie kann es sein, dass die Täter bislang straflos blieben?
Aldo Donzis: In anderen Ländern mit Terroranschlägen wurde in solchen Fällen sofort eine Untersuchung angeordnet, bis Verdächtige gefunden wurden. Gegen sie wurden Verfahren eingeleitet, bis zu einem Urteil. Es ist schwer von Gerechtigkeit zu reden, wenn es keine gibt. Und wenn des Anschlags gedacht wird, ist das nicht nur ein Erinnern an die Opfer und die Tat, sondern immer auch eine Forderung nach Aufklärung und Gerechtigkeit. Es ist mehr als ein Skandal. Es ist eine offene Schuld nicht nur gegenüber den Opfern, sondern auch gegenüber deren Angehörigen, der jüdischen Gemeinde und der argentinischen Gesellschaft.
Warum kommt die juristische Aufarbeitung des Anschlags nicht voran?
Die zuständigen Richter und Staatsanwälte kommen und gehen. Es gab ein Anhörungsverfahren, und das Gericht hat am Ende das ganze Verfahren annulliert. Anfang Juni 2009 hat das Oberste Gericht auf Grund unserer Berufung festgestellt, dass nicht einfach alles für null und nichtig erklärt werden kann. Es hat erklärt, dass es überzeugende Beweise gibt. Dies ermöglicht es jetzt, den juristischen Weg weiterzugehen. Ein Verfahrensgegenstand ist die Verbindung zum Iran, die zeigt, dass Teheran das Attentat anordnete, finanzierte und von der Hisbollah ausführen ließ. Ein anderer Gegenstand ist die lokale Verbindung. Der Anschlag wurde nicht nur von außen angeordnet, sondern in Argentinien besorgte jemand den Sprengstoff und einen Lastwagen.
Kürzlich stimmte der Senat zwar einem Entschädigungsgesetz zu, aber noch immer liegt das Votum des Abgeordnetenhauses nicht vor.
Der Fall Amia ist nicht einfach zu verstehen. Die Frage der Entschädigung hängt mit Entscheidungen von Familienangehörigen zusammen. Die haben sich in unterschiedlichen Gruppen zusammengeschlossen. Manche nahmen individuelle Entschädigungen an, andere führten Prozesse gegen die Regierung. Die Daia mischt sich hier nicht ein, denn die unterschiedlichen Gruppen gehen verschiedene Wege, und es sind ihre Entscheidungen. Aber es ist ein sehr konfuser Weg.
■ Am 18. Juli 1994 wurden bei einem Anschlag auf das Gebäude des jüdischen Hilfswerks Amia im Zentrum von Buenos Aires 85 Menschen getötet und etwa 300 verletzt. Das siebenstöckige Gebäude wurde dabei zur Hälfte weggerissen. Der Anschlag löste die größte Ermittlungsaktion in der argentinischen Rechtsgeschichte aus, die Akten umfassen 120.000 Seiten. Die Ermittlungen wurden von einer Serie von Pannen, Ungereimtheiten und wiederholten Auswechslungen von Staatsanwälten und Richtern begleitet. Der Iran wird beschuldigt, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Verurteilt wurde bis heute niemand. JUEVO
Eineinhalb Jahrzehnte nach dem Anschlag auf Amia scheint auch in Argentinien die antisemitisch motivierte Gewalt zu steigen. In der ersten beiden Monaten dieses Jahres soll die Zahl der Vorfälle um 70 Prozent gestiegen sein.
Ja, die Zahl stimmt, und sie ist sehr besorgniserregend. Man muss aber auch den Kontext sehen. In den ersten Monaten des Jahres 2009 gab es den Konflikt im Gazastreifen. Ein Konflikt im Nahen Osten findet sein Echo in vielen Ländern mit Demonstrationen. Als der Konflikt im Gazastreifen eskalierte, sprachen sich auch in Argentinien verschiedene Gruppen rasch gegen die Politik der israelischen Regierung aus. Das schlug schnell um in ausgesprochen antisemitische Kundgebungen mit Aufschriften auf Transparenten wie „Juden-Mörder“ oder mit Hakenkreuzen. Das ist gegen die jüdische Gemeinschaft gerichtet. Und es gibt grenzüberschreitende Verbindungen, die heute mehr Besorgnis auslösen als früher. Es gibt Hinweise, dass die iranische Ideologie in Lateinamerika vordringt. Dabei spreche ich nicht vom iranischen Volk, sondern von Präsident Ahmadinedschad. Der leugnet nicht nur den Holocaust, sondern propagiert auch die Zerstörung des Staats Israel. Das verbreitet sich auch in Lateinamerika, wo sich viele Gruppen diese Auffassungen aneignen. INTERVIEW: JÜRGEN VOGT