: Braucht die Kirche Reformen?
ja
Die katholische Kirche braucht dringend Reformen. Diese bedrohen nicht die Einheit der Kirche: Im Gegenteil, sie stützen sie langfristig. Veränderungen müssen schnell kommen, denn in den traditionsreichen christlichen Ländern erodieren die früheren Volkskirchen. Frauen, deren Spiritualität schon heute die Kirche prägt, müssen endlich Zugang zum Priesteramt bekommen. Es ist hohe Zeit, den innerkatholischen Dialog zu beginnen.
Papst Johannes Paul II. ist tot. Fasziniert und bewegt begleiten Millionen von Menschen in diesen Tagen sein Leiden und Sterben. Sie nehmen öffentlich und privat Anteil an den Zeremonien des Abschieds von einem Großen der Päpste und an der Neuwahl des nächsten Papstes – und damit am spirituellen Reichtum eines auch außerhalb des Katholizismus weltweit bedeutenden Global Players.
Aber wer auch immer der nächste Papst sein wird – um die Einheit der katholischen Kirche zu erhalten, müssen zügig überfällige Reformen angepackt werden. Seit dem Amtsantritt von Johannes Paul II. im Oktober 1978 hat sich die Lage grundlegend geändert. Die klaren Herausforderungen einer bipolaren Welt sind einer neuen Unübersichtlichkeit gewichen. In den traditionsreichen christlichen Ländern erodiert deren Charakter als Volkskirchen durch eine stetige Pluralisierung und Säkularisierung. Ein überkommener missionarischer Alleinvertretungsanspruch in anderen Regionen der Welt stößt mit dem Selbstbewusstsein anderer Religionen zusammen.
Einheit unter den Bedingungen unterschiedlicher Alltagserfahrungen und Lebensbedingungen ihrer Mitglieder kann eine Weltkirche nicht durch eine Politik der harten Hand und starrer Vorgaben erhalten. Den Ortskirchen müssen im Rahmen einer wohlverstandenen Subsidiarität ein erheblich größerer Gestaltungsspielraum eingeräumt und den Laien mehr echte Beteiligungsmöglichkeiten gegeben werden.
So war der von Rom gegen den Willen von Bischöfen und Laien erzwungene Ausstieg aus der Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland kein Beitrag zum Erhalt der weltweiten Einheit der Kirche. Im Gegenteil: Die grundsätzliche Ablehnung der Abtreibung durch die katholische Kirche darf nicht verhindern, dass Ortskirchen länderspezifische Möglichkeiten nutzen, um gerade Frauen in einer existenziellen Konfliktsituation beistehen zu können.
Weltweit werden die Gemeinden vor Ort maßgeblich vom Engagement und der Spiritualität von Frauen getragen. Zugang zum Priesteramt haben sie aber bis heute nicht. Dieses Verbot ist – ebenso wie der Pflichtzölibat – nicht zwingend aus dem Evangelium herleitbar. Als erster Schritt zur Abschaffung dieser strukturellen Ungerechtigkeit sollte den Ortskirchen umgehend die Möglichkeit für ein Diakonat von Frauen eröffnet werden. In welchem Maß strukturkonservatives Denken mittlerweile sogar das Fundament katholischer Glaubenspraxis angreift, zeigt sich exemplarisch an diesem selbst verursachten Priestermangel: Zu diesem Fundament katholischen Glaubens gehört die Feier der Heiligen Messe. Zwangszölibat und Ausschluss der Frauen vom Priesteramt haben in vielen Ländern, auch in Deutschland, zu einem dramatischen Priestermangel geführt. So stehen wir in Deutschland vor der paradoxen Situation, dass es zwar in fast jedem Dorf eine Kirche gibt, aber selbst an Sonntagen keine Heilige Messe mehr gefeiert werden kann. Diese Schwächung der Ortsgemeinden durch Priestermangel und Zentralisierung wird nach außen hin als neues Konzept so genannter Weggemeinschaften beschönigend dargestellt, ein schöner Begriff der die Erosion jedoch nicht stoppen wird.
Ein Weiteres: Der Erfahrungsschatz von Reformkatholiken in Wissenschaft und Pastoral muss in Zukunft gehoben statt weiter mit dem Entzug der Lehrerlaubnis bestraft zu werden. Ortsbischöfe dürfen nicht länger gegen den Widerstand, sondern sie müssen mit der Zustimmung des Kirchenvolks ins Amt kommen. Die ökumenische Praxis muss intensiviert werden, damit christliche Präsenz vor Ort erhalten bleibt, statt weiter zu erodieren.
Kirchenvolksbewegungen in aller Welt dringen seit langem darauf, dass sie endlich in Rom Gehör finden. Papst Johannes Paul II. war ein Pionier des interreligiösen Dialogs, der kommende Papst muss auch ein Pionier des innerkatholischen Dialogs werden.
Fotohinweis: CHRISTA NICKELS, 53, ist seit 2000 Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Die Grünenpolitikerin und ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung ist Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag. Die Mutter zweier Kinder lebt im Rheinland und wohnt unter der Woche in einem Kloster in Berlin-Charlottenburg.