american pie
: Gallonen von Herzblut

North Carolina gewinnt die Meisterschaft im College-Basketball und setzt damiteine große Tradition fort

Es dauerte nicht lange, da erschien His Airness in der Kabine der Sieger. Michael Jordan machte den glückstrunkenen Basketballern der Universität von North Carolina seine Aufwartung. Die Ehrfurcht der Studenten vor dem legendären Spieler der Chicago Bulls dürfte in diesem Moment nicht allzu groß gewesen sein, denn die Tar Heels, so nennt sich das Team, hatten im Finale gegen Illinois, das sie in der Nacht zum Dienstag mit 75:70 gewannen, gleichfalls Großes vollbracht; die Meisterschaft in der National Collegiate Athletic Association (NCAA) hatten sie in St. Louis gewonnen. Außerdem ist Michael Jordan einer von ihnen, Absolvent der UNC. 1982 holte er gegen die Georgetown Hoyas den Titel.

Michael Jordan kennt die Fieberschübe, die bei den Fans zu fortschreitender Vernarrtheit in ein Turnier führen, das nach dem Super Bowl im Football als bedeutendstes Sportereignis der Vereinigten Staaten gilt. Kaum anderswo im amerikanischen Sport wandelt sich Begeisterung so vorhersehbar in schrille Hysterie, nirgendwo sonst vergießen die Fans Gallonen von Herzblut, wenn ihr Team die letzten K.o.-Spiele nicht übersteht. Das Turnier, das im Monat März so viele meschugge macht, lebt von heißen Emotionen und tief wurzelnden Traditionen. Es gilt als Refugium anständigen, unverdorbenen Sports. Die NCAA wacht streng über die Einhaltung ihrer Regeln. So trägt man Sorge darüber, dass sich die Späher der Profiliga NBA nicht zu früh an ihre Objekte der Begierde heranmachen und sie mit hoch dotierten Verträgen locken.

North Carolina ist eine staatliche Universität mit großer Basketball-Geschichte. Viermal haben sie den NCAA-Titel gewonnen. Sechzehnmal gehörten sie zu den besten vier Teams – ein Rekordwert. North Carolina hat nicht nur Michael Jordan hervorgebracht, sondern auch Stars wie James Worthy, Vince Carter oder Antawn Jamison. Deutsche Basketballer ließen sich hier ebenfalls ausbilden. Henrik Rödl, Trainer von Alba Berlin, gewann sogar 1993 die Meisterschaft; Ademola Okulaja war weniger erfolgreich. Henrik Rödl kam in den Achtzigerjahren mit einem Fullbright-Stipendium an die High School von Chapel Hill – und wurde auf Anhieb erfolgreichster Spieler seines Jahrgangs. Nach dem Abitur in Deutschland ging er zurück nach Chapel Hill. „Man fühlt sich schon als etwas Besonderes während dieser vier Jahre auf dem Campus“, sagte er einmal rückblickend.

Henrik Rödl fiel damals der Trainerlegende Dean Smith ins Auge. Smith trainierte die Tar Heels 36 Jahre lang. 1997 ging er in Pension. Ein Denkmal hatte man dem Trainer schon in den Achtzigerjahren errichtet: den Dean Dome mit 21.600 Sitzplätzen. Die Alumni, also die Ehemaligen, sorgten für die Finanzierung mit Spenden in Hohe von 34 Millionen Dollar. Smith hinterließ freilich eine riesige Lücke, die kein Coach ausfüllen konnte. Seine Nachfolge wurde zum Problem. Die Leistungen des Teams gingen zurück. 2002 stand die UNC mit acht gewonnenen bei zwanzig verlorenen Partien da – ein Debakel für die erfolgsverwöhnte Uni. Matt Doherty wurde entlassen und Roy Williams aus Kansas verpflichtet, ein ehemaliger Assistent von Dean Smith. Mit ihm ging es wieder aufwärts. Er formte ein starkes Team, das der Center Sean May anführt. May wurde nun zum wertvollsten Spieler gewählt. Im Finale gegen die leicht favorisierte Mannschaft aus Illinois traf er zehn von elf Würfen aus dem Feld und schnappte sich zehn Rebounds. Er dürfte von der NBA mit offenen Armen empfangen werden, zumal gute Brettspieler rar sind. „Viele haben gesagt, wir wären nur talentiert, aber kein Team, doch als es darauf ankam, haben wir gezeigt, dass wir beides sind: talentiert und ein Team“, sagte May nach dem Triumph.

MARKUS VÖLKER