Fair aus der Absatznische

„Dass das Siegel fairen Handel bekannt machte, war ein Lernprozess“

VON ANNETTE JENSEN
UND RALF SOTSCHECK

Heidemarie Wieczorek-Zeul hat die Presse zum Brandenburger Tor bestellt: Vor laufenden Kameras schenkt die Entwicklungshilfeministerin fair gehandelten Kaffee aus. Auch Schwimmerin Franziska van Almsick posiert inzwischen für die gute Sache, bei der Produzenten in der Dritten Welt feste Abnahmemengen und -preise für ihre Güter garantiert werden. Neuerdings lockt auch eine Werbekampagne die Verbraucher, sich „fairwöhnen“ zu lassen, und in einigen Supermärkten gibt es jetzt Bananen mit Transfair-Siegel. Auf dem Weltmarkt zieht der Kaffeepreis so an, dass die Käufer fair gehandelter Bohnen nicht mehr doppelt so viel zahlen müssen wie für konventionelle Ware. Es könnte also nicht besser laufen für den fairen Handel. Oder doch?

In Deutschland scheint es nach einer Absatzdelle im Jahr 2003 wieder aufwärts zu gehen. Zwar hält die Organisation Transfair genaue Zahlen bis Ende April noch unter Verschluss. Doch so viel verrät sie bereits: Die Wachstumsrate ist zweistellig – bei einem jährlichen Gesamtumsatz von knapp 90 Millionen Euro.

Im Vergleich zu Großbritannien ist das sehr mager. Dort boomt der Markt für fair gehandelten Tee, Kaffee, Kakao, Wein, Zucker ebenso wie für Bananen, Trockenfrüchte und Dutzende anderer Produkte. Im Vergleich zum Vorjahr konnte die Branche 2004 mehr als 50 Prozent Zuwachs melden.

Die Marke für fairen Handel im Vereinigten Königreich ist das schwarz-blau-grüne Fairtrade-Siegel. Noch vor zehn Jahren wurden seine Vertreter als Exzentriker verspottet, inzwischen hat sich die Stimmung gedreht. In diesem Frühjahr finden beim Fairtrade-Festival 7.500 Events im ganzen Land statt – unter Schirmherrschaft des Finanzministeriums; im Unterhaus und mehreren Ministerien wird nur noch Fairtrade-Kaffee ausgeschenkt und hunderte Städte des Inselreichs wetteifern darum, als Fairtrade-Ort anerkannt zu werden. Bedingung für diesen Titel ist der Nachweis, dass Fairtrade-Produkte in einer großen Zahl von Geschäften und Cafés angeboten werden. Mit 200 Millionen Euro Umsatz im fairen Handel ist Großbritannien im vergangenen Jahr die Nummer eins in Europa geworden – vor der Schweiz. Dort liegt der jährliche Pro-Kopf-Umsatz jedoch bei unübertroffenen 14 Euro – während der deutsche Durchschnittsmichel nur einen Euro im Jahr für faire Waren ausgibt. Selbst beim wichtigsten Produkt, dem Kaffee, erreicht der faire Handel in Deutschland ein Prozent Marktanteil, während es in der Schweiz und Holland jeweils fünf Prozent sind.

Neben der „Geiz ist geil“-Mentalität ist es vor allem der Vertrieb, wegen dem der faire Handel in Deutschland ein Nischendasein fristet. Die 800 Weltläden bilden nach wie vor den wichtigsten Absatzmarkt für fair gehandelte Produkte. Gegründet wurden sie von Dritte-Welt-Initiativen in den 70er- und 80er-Jahren. Bis heute verkaufen dort überwiegend ehrenamtliche Helfer alles: vom Tee über den Brotkorb bis zum Püppchen, das die Träume fangen soll. Dabei ist den Betreibern dieser Läden die Informationsweitergabe zu Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Herstellerländern mindestens ebenso wichtig wie ihr Geschäft.

„Verbraucher kaufen aber nicht die politische Botschaft. Sie wollen knappe Information“, kritisiert Christiane Böttcher-Tiedemann, beim Umweltbundesamt für nachhaltigen Konsum zuständig. Weil die Läden zudem als klein, staubig und unprofessionell gelten, verirrt sich kaum ein Zufallskunde dort hinein.

Als Anfang der 90er-Jahre endlich das Transfair-Siegel entwickelt wurde, waren die Widerstände in der Szene zunächst groß. „Die Idee war, konventionellen Kaffeeröstern die Chance zu geben, auch faire Sorten zu entwickeln“, beschreibt Transfair-Sprecherin Claudia Brück die Motivation. Viele Engagierte aber fürchteten, dass mit dem Einzug fairer Produkte in den Supermarkt auch das Ende der Weltläden eingeläutet würde. „Dass das Siegel den fairen Handel bei vielen Leuten überhaupt erst bekannt macht, war ein Lernprozess für die Weltläden“, sagt Marco Klemmt vom Network of European Worldshops.

Immerhin weiß inzwischen die Mehrheit der Deutschen, worum es beim fairen Handel geht. Und laut einer Emnid-Umfrage aus dem vergangenen Jahr finden immerhin 35 Prozent den Gedanken, die 800.000 Produzenten fairer Waren weltweit zu unterstützen, gut. Diese „Unterstützer“ dürften nicht einfach den Supermärkten überlassen werden, findet der Weltladendachverband in Mainz. „Mehr Kunden, mehr Handel“, verspricht Marketingfrau Susanne Leichner den Ladenbetreibern, wenn sie das aktuelle Professionalisierungsprogramm „Weltladen 2006“ buchen – Corporate Design und PR-Berater inklusive.

Schon jetzt versuchen einige Ladenbetreiber, ihre Nische zu verlassen. Die ersten beiden „Shops“ haben in München und Moosbach im Odenwald in bester Einkaufslage eröffnet. Hell, freundlich, orangefarben getünchte Wände – schon binnen einem halben Jahr hatte sich 2004 der Gesamtumsatz in München im Vergleich zum Vorjahr um 28 Prozent erhöht.

Doch den meisten Weltladen-Gruppen fällt die neue Denke noch schwer. Sie wollen lieber jeden Euro direkt in die dritte Welt leiten statt Geld für ein attraktives Kaufumfeld auszugeben. Doch Leichner gibt die Hoffnung nicht auf, dass Weltläden irgendwann die „Marke Fachgeschäft für fairen Handel“ sind.

„In Deutschland muss man betteln, damit die großen Ketten Faires listen“

Doch auch die deutschen Supermärkte erweisen sich als Bremser, wenn es um fairen Handel geht. Während in der Schweiz zwei Ketten 75 Prozent des Lebensmittelhandels abwickeln und seit langem faire Produkte gelistet haben, ist es in Deutschland schwieriger, auf den Massenmarkt vorzudringen. Aldi und Lidl, die 37 Prozent des Lebensmittelhandels abwickeln, setzen ausschließlich auf billig. Zwar gibt es inzwischen immerhin gut 20.000 Supermärkte, die Transfair-Produkte verkaufen. Doch in ihrer Fixierung auf die Preisschlacht nutzen die Filialen sie selten als Werbeargument. Nun aber wollen Edeka, Kaiser’s und Tengelmann ihre Kunden wieder stärker mit Qualität, Frische und Service locken: Seit 2004 haben sie auch faire Bananen im Angebot. Die von Kleinbauern in Ecuador angebauten Früchte werden ohne Pestizide hergestellt und gelten als besonders lecker.

Auch sonst haben die meisten fair gehandelten Produkte inzwischen hohe Qualität. Dass jedoch Kunden faire Produkte kaufen könnten, weil sie schlicht lecker und gut sind, ist in Deutschland ein noch wenig verbreiteter Gedanke. Anders in Großbritannien: Dort haben vier Hilfsorganisation unter der Leitung von Oxfam schon vor mehr als zehn Jahren die Marke Cafédirect kreiert. Die sinnlich ansprechenden, gut wiederzuerkennenden Kaffee- und Tee-Verpackungen versprechen den Käufern vor allem Genuss und Qualität. Mit Erfolg: Die faire Kaffeemarke liegt in Großbritannien inzwischen auf Platz sechs, und es gibt sie in fast jedem Lebensmittelladen.

Hinzu kommt, dass es in Großbritannien viel mehr Waren mit Fairtrade-Siegel gibt. Allein die weit verbreiteten Coop-Läden im Vereinigten Königreich haben 100 Artikel im Angebot. In Deutschland dagegen gibt es bisher nur für acht Produkte entsprechende Kriterien. Und ohne Siegel gibt es keine Chance für den Verkauf außerhalb der Weltläden. „Deshalb muss das Transfair-Siegel unbedingt für weitere Produktlinien entwickelt werden“, fordert Martin Kunz, der Geschäftsführer- und Aufsichtsratsposten in deutschen und internationalen Fair-Handelsorganisationen inne hatte und inzwischen Mitinhaber einer britischen Firma ist, die fair produzierte Sportartikel verkauft.

Hierzulande gelingt den traditionellen fairen Händlern dagegen nur selten der Sprung in den Supermarkt. „In Deutschland muss man betteln, damit die großen Ketten Faires listen“, ärgert sich Thomas Hoyer von der Dritte-Welt-Partner GmbH dwp. Die Firma ist neben Gepa und El Puente der wichtigste faire Importeur in Deutschland. Tatsächlich stammen fast alle Kaffeesorten, die in deutschen Supermarktregalen stehen, von sonst konventionell wirtschaftenden Konzernen. Ihr Interesse, faire Sorten besonders attraktiv zu machen, ist gering; schließlich sollen ihre anderen Produkte ja nicht in der Geruch kommen, „unfair“ zu sein. Die in England von Hilfsorganisationen gemeinsam gegründete Firma Cafédirect hatte dagegen von Anfang an nur ein Ziel: Massenhaft fairen Kaffee und Tee zu verkaufen. Eine solche Firma fehlt bisher in Deutschland. Noch.