: Das System Schrempp
von JÜRGEN GRÄSSLIN
Die heutige Hauptversammlung wird wohl die schwerste in der zehnjährigen Amtszeit von Jürgen E. Schrempp. Überraschend haben die Fondsgesellschaften SEB und die Union Invest angekündigt, den Daimler-Chef nicht zu entlasten. Diesen drastischen Schritt hatten bisher zumeist nur die Kritischen Aktionäre gewagt. Besonders pikant: Sogar die Fondsgesellschaft DWS – eine Tochter des Großaktionärs Deutsche Bank – will erst nach Schrempps Rede über dessen Entlastung entscheiden. Das hatte sich Schrempp anders vorgestellt: Eigentlich sollten zum Jubiläum in der Berliner Messehalle die Sektkorken knallen: Doch die Schrempp-Dekade war allenfalls in den ersten fünf Jahren eine Erfolgsstory.
Nachdem der Freiburger im Mai 1995 auf dem Fahrersitz des größten und renommiertesten deutschen Konzerns Platz genommen hatte, steuerte er die Daimler-Benz AG auf die Überholspur: Umsatz, Gewinn und Beschäftigtenzahl wuchsen stetig. Das aber war dem machthungrigen Daimler-Chef zu wenig. Seine Vision war, Daimler zur Nummer eins aller Autokonzerne zu machen. Den Einstieg in die „erste deutsche Welt AG“ (Schrempp) vollzog er mit der von ihm initiierten Fusion mit der Chrysler Corporation im September 1998. Doch der „Merger of Equals“ entpuppte sich als von Anfang an gewollte Übernahme. Die Shopping-Tour führte ihn im März 2000 nach Tokio, wo er ein Drittel der Anteile von Mitsubishi Motors einfuhr. Wie Chrysler entwickelte sich auch Mitsubishi zum Sanierungsfall.
Längst ist Schrempps Vision der DaimlerChrysler-Mitsubishi-Hyundai-Welt-AG wie eine Seifenblase zerplatzt. Statt des von Schrempp versprochenen 25- prozentigen Marktanteils in Asien dümpelt Daimler noch immer bei acht Prozent herum und versucht sich mit begrenzten Perspektiven in China.
Auch strukturell befindet sich der Konzern in der Krise: DaimlerChrysler und seine Beteiligungsgesellschaften sind zum Gemischtwarenladen verkommen, in dem überdimensionierte Maybach- und defizitäre Smart-Mobile, unattraktive Mitsubishi- und qualitätsgeminderte Mercedes-Fahrzeuge, völkerrechtswidrige Atomwaffenträger und menschenverachtende Minenverlegesysteme gefertigt werden. Selbst das Kinderhilfswerk Unicef verweigert die Zusammenarbeit mit Daimler.
Wenig verwunderlich, denn die Daimler-Beteiligungsgesellschaft Eads ist mit dem Eurofighter, Militärhubschrauber NH 90 und Militärtransporter A 400 M zum weltweit siebtgrößten Rüstungsproduzenten aufgestiegen. Als zivil wie militärisch einsetzbare Dual-Use-Güter wurden Motoren der Daimler-Tochter MTU-Friedrichshafen für chinesische U-Boote der Song-Klasse und für Kriegsschiffe geliefert.
Die Folgen tragen die Aktionäre
Die Folgen einer langen Liste von Fehlentscheidungen müssen Anteilseigner wie Beschäftigte tragen. Von 1999 bis 2004 brach der Aktienkurs von 94,90 Euro auf 35,26 Euro ein, minderte sich der Börsenwert um 35 Milliarden Euro, sank die Dividende von 2,35 Euro auf 1,50 Euro je Aktie. Im gleichen Zeitraum wurde die Beschäftigtenzahl von 82.215 auf 384.723 heruntergefahren. Anfang 2004 wurde Schrempp von Business Week zum weltweit „Schlechtesten Manager des Jahres“ gekürt.
Zu allem Unglück ist die E-Klasse jüngst zum unzuverlässigsten Pkw auf dem US-Markt gewählt worden. Das allgemeine Qualitätsdebakel hat den Vorstand jetzt zu einer 500 Millionen Euro teuren Rückrufaktion genötigt. Auch beim Smart sieht es nicht gut aus: Mit dem Minimobil sind 2,6 Milliarden Euro in den Sand gesetzt worden, weitere 1,2 Milliarden verschlingen die geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen.
Wie ist es möglich, dass Jürgen E. Schrempp nach all den Fehltritten weder vom Vorstand kritisiert noch vom Aufsichtsrat ausgebremst wird? Wie kann der größte Arbeitsplatz-, Aktien- und Börsenwertvernichter in der Daimler-Firmengeschichte in den zehn Jahren seiner Amtszeit eine Versechsfachung seines Gehalts erhalten anstatt gefeuert zu werden? Die Antworten liegen im System Schrempp.
Das System Schrempp
Auf der heutigen Hauptversammlung wird Schrempp die Probleme verharmlosen, einen harten Sanierungskurs ankündigen und eine glorreiche Zukunft versprechen. Das kann er nur, weil er von höchster Stelle gedeckt wird: Der ehemalige Deutsche-Bank-Vorstandsvorsitzende Hilmar Kopper ist ein Duzfreund Schrempps. Am späten Abend, wenn die Wogen der Kritik verebbt sind, werden sich Aufsichtsrat und Vorstand – wie nach den Daimler-Hauptversammlungen üblich – zum gemütlichen Umtrunk treffen, einige Formalia abhandeln und frohgemut auf die gute Zusammenarbeit anstoßen.
Dieses Klima der radikalen Nachsicht hat Schrempp selbst mit strategischen Personalentscheidungen geschaffen: Geschickt hatte der Dasa-Chef Schrempp seinem Ziehvater Edzard Reuter Mitte der Neunzigerjahre gut vier Milliarden Mark an Verlusten in die Daimler-Gesamtbilanz untergejubelt und ihn damit zu Fall gebracht. Damit sich dieser nicht rächen konnte, sorgte er dafür, dass auch Reuters Ambitionen auf den Aufsichtsratsvorsitz scheiterten. So blieb Kopper im Amt und avancierte zu Schrempps Schutzpatron.
In den Folgejahren hat der Freiburger sein System des Machterhalts installiert, das auf den drei Grundregeln basiert:
1. Sorge dafür, dass konzerninterne Kritiker und potenzielle Nachfolger durch loyale Gefolgsleute ersetzt werden.
2. Delegiere den Misserfolg und präsentiere selbst positive Nachrichten.
3. Lass deine zentralen Entscheidungen von Vorstand und Aufsichtsrat absegnen. Dann kann dir später keiner einen Strick daraus drehen, ohne selbst daran zu hängen.
Zwanzig Freunde sollt ihr sein
Die Methoden, sich einen Aufsichtsrat gefügig zu machen, sind weithin bekannt. So wurden nicht nur die Vorstandsgehälter exorbitant gesteigert, sondern auch die Zuwendungen an die Kontrolleure von 2000 ins Folgejahr von 1,2 Millionen auf 2,4 Millionen Euro verdoppelt. Heute liegen sie noch immer bei 2 Millionen Euro.
Psychologisch wichtiger als alle Finanzzuwendungen ist der Zuspruch, den Schrempp vor allem den Gewerkschaftern um den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Erich Klemm gewährt: „Wer behauptet, dass die Mitbestimmung schädlich sei, liegt falsch.“ Derlei schmeichelt den Metallern, zumal Schrempp nur allzu gerne die konstruktive Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat anspricht. Kein Wunder, denn seit dem kontrovers entschiedenen Zukauf von MBB zur Dasa im Jahr 1989 hat der Daimler-Aufsichtsrat seine Entscheidungen mit zwanzig zu null Stimmen getroffen. Schrempps neuerliche Vertragsverlängerung bis 2008 war – bei gewohnt realsozialistischem Wahlergebnis – reine Formsache. Wohl dem, der solche Kontrolleure hat.
Neun lange Jahre standen Vorstand und Aufsichtsrat wie ein Mann hinter ihrem Vorsitzenden. Ein einziges Mal, als die Milliardenverluste die Gesamtbilanz gefährdeten, versuchten einige von ihnen die Palastrevolution. Bei der Vorstandssitzung Mitte April 2004 stand die Zukunft der japanischen Beteiligungsgesellschaft zur Disposition. Allen voran Finanzvorstand Manfred Gentz und Mercedes-Chef Jürgen Hubbert stemmten sich gegen Schrempps Vorschlag. Als bei der folgenden Außerordentlichen Aufsichtsratssitzung mit Vorstandsbeteiligung offensichtlich wurde, dass weitere drei bis vier Milliarden Euro in die Mitsubishi-Sanierung investiert werden müssten, versagten selbst Schrempp-Getreue ihre Gefolgschaft.
Am Ende musste der Daimler-Chef zähneknirschend akzeptieren, dass ihm lediglich noch seine engsten Vertrauten Rüdiger Grube und Eckhard Cordes zur Seite standen und er sich in einer Drei-zu-acht-Minderheitenposition befand. Kurzerhand schwenkte der Daimler-Chef um, stellte sich an die Spitze der Mitsubishi-Kritiker und verweigerte seinerseits die geplante Kapitalerhöhung.
Seit dem Tag ist klar, wer der Thronfolger sein wird: Als erfolgreicher Chrysler-Chef ist Dieter Zetsche weiter gefragt, als Kronprinz hat er jedoch ausgespielt. Ausgespielt hat auch Manfred Gentz, der letzte Mohikaner aus der Reuter-Riege. Mit ihm verbindet Schrempp ein ausgeprägtes Hassverhältnis. Über die Jahre hinweg war der Finanzvorstand der Einzige, der es wagte, dem Daimler-Chef Paroli zu bieten – intellektuell war er ihm schon immer überlegen. Ende Oktober 2004, keine zwei Monate vor seinem Abgang, sinnierte Gentz öffentlich ohne Absprache mit seinem Chef über das vorzeitige Aus der Marke Smart. Man müsse „alle möglichen Alternativen in Betracht ziehen“.
Vasallentreue wird belohnt
Schrempp und Kopper bedankten sich auf ihre Art. Statt Gentz’ Vertrag zu verlängern, durfte der Finanzchef im Dezember letzten Jahres seinen Hut nehmen. Mit Bodo Uebber, dem neuen Vorstand für Finanzen & Controlling, hat sich der Vorstandsvorsitzende einen weiteren Zögling aus der alten Dasa-Riege ins Boot geholt. Die beiden Machertypen verstehen sich blendend, und was noch wichtiger ist: Auch Uebber ist seinem Chef vasallentreu ergeben. Vorstand und Aufsichtsrat gleichen einer Großfamilie von 29 braven Brüdern, die lieber ihre Kunden als ihren Chef verprellen.
Auch wenn es heute auf der Hauptversammlung statt Sekt und Glückwünschen zum Jubiläum vor allem Ärger geben wird: Das System Schrempp funktioniert. Selbst seine Rücktrittsangebote, wie im Fall der Fokker-Pleite und des Mitsubishi-Desasters, verkommen zur Farce – müssten doch alle anderen mit ihm gehen. Am Ende entscheidet Schrempp selbst, ob er schon 2007 oder erst 2008 den Sessel wechselt – vom Vorstands- zum Aufsichtsratschef.
Jürgen Grässlin, 47, ist Autor der Bücher „Daimler-Benz. Der Konzern und seine Republik“ und „Jürgen E. Schrempp. Der Herr der Sterne“. Grässlin ist auch Sprecher der Kritischen AktionärInnen DaimlerChrysler (KADC), die eineinhalb Prozent der Daimler-Aktien halten.