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Archiv-Artikel

Die Entdeckung der Finsternis

Nie hat Silvio Berlusconi eine so herbe Niederlage wie bei den Regionalwahlen einstecken müssen

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Silvio Berlusconi war am Montagabend mit den Glückwunschanrufen bei den Regionalkandidaten seiner Rechtskoalition schnell fertig: Bloß zweimal musste der Regierungschef den Hörer abnehmen, um den Siegern aus dem eigenen Lager zu gratulieren. Der Mann, der den Fußball liebt, der den AC Mailand besitzt, der seine Partei „Forza Italia“, genannt hat, was so viel heißt wie „Italien vor“, muss jetzt mit einem Ergebnis leben, das nicht nur im Ballsport ein Desaster wäre: 11:2 für die anderen, für die „Union“ der Mitte-links-Parteien unter Romano Prodi.

Was die Rechtspresse noch kurz vor den Wahlen als Worst-Case-Szenario beschworen hatte, um die Wählerschaft zu mobilisieren – es ist nun eingetreten: Quer durchs Land wurden die Berlusconi-Leute, die vorher acht der dreizehn Regionen regiert hatten, abgewählt; bloß die Lombardei und Venetien bleiben unter dem Dach von „La Casa delle Libertà“ (Haus der Freiheiten). Im Norden gingen Ligurien und Piemont verloren, in der Mitte die Abruzzen und Latium, im Süden Kalabrien und Apulien.

Der Verlust einiger Regionen wäre nicht so schlimm, hatte Berlusconi noch letzte Woche erklärt, „was wirklich zählt, ist die nationale Gesamtsumme der Stimmen der beiden Lager“. Doch die Rechte brach komplett ein. Gut 41 Millionen Wähler – über 80 Prozent der gesamten Wählerschaft – waren an die Urnen gerufen. 53 Prozent der Menschen stimmten diesmal für das Prodi-Lager.

Nie seit 1994, dem Zusammenbruch des alten Parteiensystems und dem Eintritt Berlusconis in die Politik, hat es ein solches Resultat gegeben, die absolute Mehrheit war für die Mitte-links-Parteien ein entferntes Ziel geworden. Gegenüber den Regionalwahlen von 2000 haben sie jetzt satte 8 Prozentpunkte zugelegt. Die Rechte verlor 6 Prozentpunkte und liegt jetzt bei 45 Prozent, der schlechteste Wert seit zehn Jahren.

Prodi triumphiert

Auch Romano Prodi wusste, diese Wahlen sind ein psychologisches Datum, als er am Montagabend mit einem süffisanten Lächeln unterstrich: Berlusconi kann nicht mehr beanspruchen, „die Mehrheit im Lande“ hinter sich zu haben.

Nicht einmal die Hoffnung, wenigstens Hochburgen wie den Piemont und Latium zu halten, erfüllte sich für Berlusconi. Auch in Apulien, am Hacken des Stiefels, einer der konservativsten Regionen Italiens, war sich die Rechte sicher gewesen, dass der Wahlkampf zum Spaziergang für sie würde. Die Opposition hatte sich dort zu dem Irrsinn hinreißen lassen, in Urwahlen statt eines gemäßigten Katholiken einen schwulen Kommunisten zum Kandidaten zu küren. Doch Niki Vendola setzte sich mit 49,9 Prozent knapp durch. Und im Piemont kam die Opposition auf 50,9, in Latium auf 50,7 Prozent.

Da schelle die Alarmglocke für die Regierung, verkündete sofort Gianfranco Fini, der Außenminister und Chef der postfaschistischen Alleanza Nazionale, und der in Latium durchgefallene bisherige Regionspräsident Francesco Storace erklärte, die Berlusconi-Koalition habe ein „Blutbad“ erlitten. Klar ist: Berlusconis alte, ewig gleiche Wahlkampfrezepte ziehen nicht mehr. Im Jahr 2001 hatte er den Bürgern „ein neues italienisches Wunder“ versprochen, weniger Steuern bei höheren Sozialleistungen, Entlastung der reichen Regionen im Norden bei Vergabe milliardenschwerer öffentlicher Großaufträge im Süden. Das Wunder hat sich nicht eingestellt; die meisten Italiener sind überzeugt, dass es ihnen heute schlechter geht als vor drei Jahren, und die Steuerreform vom Jahresbeginn hatte sich als Luftnummer entpuppt, die den Zorn auf die Regierung eher noch steigerte. Berlusconi versuchte es verzweifelt mit der Ankündigung einer erneuten Steuersenkung für 2006 – und musste erleben, dass das Land ihm nicht mehr glaubt.

Gezänk in der Koalition

Und auch nicht die eigene Koalition: Schon am Wahlabend ging das Gezänk im Bündnis los. Alleanza Nazionale ebenso wie die christdemokratische UDC fordern nun lauthals einen „entschiedenen“ Kurswechsel der Koalition. Es müsse Schluss sein mit der Dominanz der „Nord-Achse“ aus Berlusconis Forza Italia und Umberto Bossis Lega Nord, mit der neoliberal inspirierten Sozialpolitik, mit der Begünstigung der reichen Regionen des Nordens auf Kosten des armen Südens. Das Gegenteil sei wahr, verkündet die Lega Nord, die Regierung müsse jetzt noch mehr rechten „Reformeifer“ an den Tag legen.

Nur Berlusconi könnte diesen Konflikt schlichten – doch dazu hat er nicht mehr die Autorität. Gerade Forza Italia brach am dramatischsten ein, gab im Norden wie im Süden fast 10 Prozent ab. Wie schlecht es um ihn steht, macht das Presseecho deutlich: Selbst Il Giornale, die Tageszeitung aus dem Hause Berlusconi, sprach von einer „historischen Abreibung“, die ihren Grund in der Zerstrittenheit der Koalition und in ihrer „Versessenheit auf die Niederlage“ habe.

Mindestens zehn Jahre müsse er regieren, um seine „italienische Revolution“ zu vollenden, hatte Berlusconi nach seinem Sieg 2001 verkündet. Nur eines brauche er dafür: die bleibende Zustimmung der Italiener gegen die „abgehalfterten Politiker“ im Stile Prodis. Ausgerechnet Romano Prodi darf sich nun über enormen Zuspruch freuen, steht jetzt als unbestrittener Chef eines Mitte-links-Bündnisses da, das sich voller Enthusiasmus auf die entscheidende Schlacht vorbereitet. Berlusconi dagegen startet angeschlagen als Verlierer ins Rennen. Das ist für keinen Politiker bequem. Für Berlusconi ist es vernichtend. Er, „der vom Herrn Gesalbte“ (so die Selbsteinschätzung), der sich immer als strahlenden Sieger, als Stimme des Volkes, als Inbegriff des Erfolgs inszeniert hatte, kämpft nicht nur um einen Wahlsieg, sondern um sein politisches Überleben.