: Das Superwahljahr des Drachen
ASIEN Diverse Präsidentschaftswahlen stellen die fragile Machtbalance in der Region auf die Probe
■ Der Termin: Am Samstag finden in Taiwan Präsidentschaftswahlen statt. Die Oppositionsführerin Tsai Ing-wen, für ihre kritische Position zu Peking bekannt, hat gute Chancen, die erste Frau im Staat zu werden – zum ersten Mal in der Geschichte des Landes.
■ Die Zukunft: Die Wahl in Taiwan ist der Auftakt zum internationalen Superwahljahr. Neben Russland, Frankreich, China und den USA werden auch die Bürger in Birma und Südkorea über ihre Führung abstimmen. Weitere Konflikte zwischen China und den USA um die Vormachtstellung in der Region werden erwartet.
VON SVEN HANSEN
Aus globaler Perspektive wird 2012 ein besonderes Jahr. Denn in vier der fünf Staaten, die ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates und zugleich Atommächte sind, wird in diesem Jahr eine neue Führung bestimmt: In Russland (4. März), Frankreich (22. April), auf Chinas KP-Parteitag (Oktober) und bei der US-Präsidentschaftswahl (6. November) – das am 23. Januar nach dem chinesischen Kalender beginnende Jahr des Drachen ist ein Superwahljahr. Und schon am 14. Januar macht Taiwan den Anfang.
In Russland ist davon auszugehen, dass Wladimir Putin wieder Präsident wird. Spannend nach den Protesten im Anschluss an die manipulierten Parlamentswahlen vom Dezember ist vor allem die Frage, wie beschädigt er und der designierte Premier Dmitri Medwedjew sein werden, wenn sie wie geplant ihre Ämter tauschen. Die neue russische Protestbewegung hat wohl nicht die Kraft, Putins Wahl zu verhindern. Aber sie ist doch ein ermutigendes Zeichen einer wieder erwachenden Zivilgesellschaft.
Diese ist in China, wo der 18. Parteitag Xi Jinping als neuen Partei- und Staatschef sowie Li Keqiang als künftigen Premier bestimmen soll, längst nicht so deutlich. Allerdings haben kürzlich in dem südlichen Dorf Wukan die Bewohner in einem außer Kontrolle geratenen Landkonflikt ihre korrupten Kader verjagt und sich mit ihren Forderungen gegenüber der Provinzführung durchgesetzt.
Der Fall zeigt, dass auch Chinas Staatspartei nicht am Volk vorbei regieren kann, wenn dieses entschlossen handelt. In China werden nicht nur die beiden obersten Posten im Staat neu besetzt, sondern auch weitere fünf der neun Mitglieder des ständigen Ausschusses des Politbüros. Das mächtigste Führungsgremium wird aus Altersgründen neu besetzt. Schon seit einem Jahr herrscht im Land reformpolitischer Stillstand. Bis 2013, wenn der Volkskongress formal die Weichenstellungen des mächtigeren Parteitags absegnet, dürfte sich daran nichts ändern. Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass im Vorfeld des Parteitags einige Kandidaten rhetorisch aufrüsten und mit nationalistischen Tönen zu punkten versuchen. Dies könnte vor allem dann der Fall sein, wenn es im Verhältnis zu Taiwan oder den USA neue Spannungen gibt.
China könnte sich bedroht sehen, wenn in Taiwan am 14. Januar die pekingkritische Oppositionsführerin Tsai Ing-wen von der Demokratischen Fortschrittspartei zur Präsidentin gewählt wird. Noch regiert Ma Ying-jeou von der nationalistischen Guomindang. Die Umfragen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Peking präferiert klar den konservativen Ma, war aber bisher schlau genug, der als „abtrünnige Provinz“ bezeichneten Inselrepublik nicht zu drohen. 1996 hatten Peking noch mit „Raketentests“ in den Wahlkampf eingegriffen, die USA schickten darauf einen Flugzeugträger in die Taiwanstraße und so gewann der pekingkritische Kandidat.
Die 55-jährige Tsai war ihrerseits bisher weise genug, Peking nicht unnötig zu provozieren. Bei einem Sieg stünde sie als erste Frau überhaupt einem chinesischen und dem einzigen demokratischen chinesischen Staat vor. Ihr Parteifreund, der zweimal zum Präsidenten gewählte und inzwischen wegen Korruption im Gefängnis sitzende Chen Shui-bian, hatte seinen letzten Sieg noch mit Hilfe der Provokation Pekings errungen und damit selbst die USA verärgert.
China-Bashing in den USA
Dort werden martialische Töne aus China genau registriert. Und Wahlkampf, dessen heiße Phase begonnen hat, ist in den USA traditionell eine Zeit des China-Bashings. Erst Monate nach den Wahlen setzt sich meistens Pragmatismus durch, der etwa bei Bill Clinton und George W. Bush zu einer etwas konstruktiveren China-Politik führte, die gar nicht zu den rauen Wahlkampftönen passte. Barack Obama alarmierte Peking hingegen mit seiner Ankündigung vom November, in Nordaustralien US-Truppen zu stationieren und Asien wieder stärker in den Fokus seiner Politik zu rücken.
2012 gibt es in Asien noch weitere Wahltermine, die China und die USA entweder auf Konfrontationskurs bringen oder aber beide zu einer vernünftigen Kooperation veranlassen könnten. So finden in Birma (Myanmar) am 1. April Nachwahlen für das Parlament statt. Dabei ist mit einer Kandidatur der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi zu rechnen – und mit ihrem Einzug ins Parlament, sollte es mit rechten Dingen zugehen. Die unerwarteten Reformen des birmesischen Regimes, dessen wichtigste Stütze bisher Peking war, haben China verunsichert und die USA aktiviert. So reiste sogar die Außenministerin Hillary Clinton plötzlich in das mit Sanktionen belegte Land.
Ein Liberaler in Südkorea?
Ein weiteres potenzielles Streitfeld zwischen Peking und Washington ist die Koreanische Halbinsel. Wichter als die südkoreanischen Parlamentswahl im April ist die Wahl des Präsidenten im Dezember. Der konservative Amtsinhaber und Hardliner Lee Myung-bak darf nicht wieder antreten. Ein liberaler Nachfolger könnte zur Entspannungspolitik gegenüber Nordkorea zurückkehren und damit Unruhe in die Fronten zwischen Washington und Peking bringen. Peking unterstützt das nördliche Kim-Regimes, die USA hingegen wollen es isolieren. Sollte in Washington ein Republikaner Präsident werden, sind Schritte zur Konfliktlösung mit Nordkorea in nächster Zeit auszuschließen.