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Archiv-Artikel

„Ich gehe bewusst Risiko ein“

MODERNER FÜNFKAMPF Sport ist nur mein Hobby, sagt Lena Schöneborn, die Olympiasiegerin von 2008. Bei den Sommerspielen 2012 in London will sie sich trotz ihrer Favoritenrolle nicht von fremden Erwartungen kirre machen lassen. Das rigide Dopingkontroll- system empfindet sie hingegen als belastend und beschneidend. Die 25-Jährige verrät, wie sie sich trotzdem eine gewisse Eigenständigkeit bewahrt

Lena Schöneborn

■ ist Deutschlands beste Moderne Fünfkämpferin. Bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 gewann die 25-Jährige die Goldmedaille. Im Jahre 2010 erhielt sie bei den Weltmeisterschaften in Chendu die Bronzemedaille. Nebenbei schloss sie in Berlin von 2005 bis 2010 ein Studium (Business Administration) ab. Unterdessen ist sie dabei, ein Masterstudium International Marketing Management daraufzusatteln.

INTERVIEW ANDREAS RÜTTENAUER

taz: Frau Schöneborn, wie oft denken Sie schon an Olympia?

Lena Schöneborn: Noch ist es nicht viel mehr als ein Termin, der noch nicht so sehr mit Emotionen verbunden ist. Die vorolympische Saison ist gespickt mit Wettkämpfen. Dann gibt es die Trainingslager. Auch meine privaten und beruflichen Termine muss ich für die Zeit vor und nach den Spielen planen. Insofern bestimmt London 2012 mein Leben schon.

Ist es anders, als Olympiasiegerin in die Spiele zu gehen?

Ich bin in einer gewissen Favoritenrolle. Das erhöht die Erwartungen – auch die, die ich an mich selbst habe. Und vor Ort? Das wird sich zeigen, in welcher Rolle ich mich dann wiederfinde, wie ich das selbst sehe, wie viel ich von außen an mich heranlasse. Eigentlich fahre ich auch nach London, um das Event zu genießen. Peking hat mir so gut gefallen, dass mein Ziel einfach war, so etwas noch einmal erleben zu dürfen.

Und am Ende wird gemeckert, wenn Sie auf Platz fünf angekommen sind?

Ich glaube, das würde ich aushalten. Wenn ich mit meiner Leistung selbst zufrieden bin, lasse ich das einfach nicht an mich heran.

Mussten Sie nach dem Olympiasieg viel von Ihrem Privatleben preisgeben?

Das ist ein fließender Übergang. Wo bin ich Person des öffentlichen Interesses und wo fängt das Private an? Ich kann aber schon noch selbst steuern, wo ich zum Beispiel mit jemandem hingehe. Dann kommen zwar die Fragen: Mit wem sind Sie hier? Gibt es Hochzeitspläne? Sind Kinder geplant? Das finde ich dann fast albern, zumal sich die Frage doch sowieso erübrigt, denn ich bin fest im Sport engagiert, da ist Familienplanung erst mal nicht aktuell.

Von Ihnen als Sportlerin wird ja auch noch erwartet, dass Sie gut aussehen. Stört Sie das?

Damit habe ich kein Problem. Im Sport bin ich wenig eitel. In Peking ist die zweitplatzierte Britin Heather Fell – ich weiß wirklich nicht, wie die das geschafft hat – mit frischem Make-up zur Siegerehrung gekommen. Sie hat mir auf dem Weg aufs Podest noch ihren Lipgloss hingehalten.

Um Ihre Disziplin spannender zu machen, wurde sie kräftig umgemodelt. Es wird mit Laseraufsatz geschossen. Und das Laufen und Schießen ist wie beim Biathlon miteinander kombiniert.

Es ist dadurch ein anderer Sport geworden. Ich bin die lange Distanz einfach lieber gelaufen als die drei mal 1.000 Meter. Das ist eine ganz andere Belastung. Mir haben nach einem Wettkampf die Beine noch nie so weh getan wie jetzt.

Ist der Moderne Fünfkampf jetzt attraktiver geworden?

Es ist schon sehr spannend jetzt. Als Sportlerin habe ich das direkte Feedback und jeder kann sehen, was sich verändert, wenn man mal daneben schießt. Das finden viele gut. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Wie weit soll sich eine Sportart verbiegen, um medienwirksam zu sein.

Um ein Haar wäre der Fünfkampf aus dem Olympischen Programm geflogen.

Das kann ich gar nicht verstehen, das war einfach frech. Der Moderne Fünfkampf ist doch der Olympische Sport schlechthin. Er ist ja erst mit den Olympischen Spielen entstanden. Aber das Thema ist ja jetzt erst einmal vom Tisch.

Kein Sport von gestern also.

Es melden sich immer mehr Interessenten. In den Fünfkampfgruppen trainieren jetzt mehr Jugendliche als früher. Aber in jungen Jahren stellt sich halt immer die Frage: Gehe ich jetzt zum Training oder nicht? Das war bei mir nicht anders. Die anderen in meiner Klasse haben sich getroffen. Ich war immer diejenige, die später auf eine Party kam, die nie etwas getrunken hat. Aber der Sport hat mir eben auch viel gegeben. Meinen ersten Wettkampf hatte ich auf Gran Canaria. Die Möglichkeit zu haben, andere Länder und Kulturen kennen zu lernen, ist ein Privileg.

„Für mich war immer klar, dass ich auch beruflich etwas Anspruchsvolles machen will“

Und wie viel müssen Sie dafür trainieren?

Es gibt Tage, die ich komplett im Leistungszentrum verbringe. Ich habe ja auch fünf Disziplinen, auf die ich mich vorbereiten muss. Zurzeit habe ich das Glück, dass ich viel trainieren kann. Das sind zwischen 15 und 25 Stunden reine Trainingszeit in der Woche.

Und nebenbei studieren Sie noch?

Also immer wenn ich nicht beim Training bin, bin ich an der Uni. Das wird natürlich auch auf das große Ziel London 2012 abgestimmt. Wenn es auf die Spiele zugeht, wird das Studium ein bisschen zurückgefahren. Danach wird das dann wieder mehr. Da kann es dann schon sein, dass ich auch mal eine Fecht- oder eine Reiteinheit weglasse.

Als Sportsoldatin hätten Sie es da doch leichter.

Das ist für mich auch eine Frage der Einstellung. Für mich war immer klar, dass ich auch beruflich etwas Anspruchvolles machen will. Sport war immer nur mein Hobby. Derzeit kann ich sogar davon leben. Ich hatte zwar auch einmal überlegt, ob ich nicht doch zur Bundeswehr gehen soll, aber da war es eben nicht möglich, zu studieren. Außerdem ist es mir wichtig, auch etwas anderes als nur den Sport im Kopf zu haben.

War es vielleicht auch besser, dass Sie auf einer normalen Schule, nicht auf einer Sportschule waren?

Es war vor allem gut für das Leben nach der aktiven Zeit als Sportlerin. Ich musste von Anfang an zwei Dinge eigenverantwortlich kombinieren, musste entscheiden, ob ich zum Training gehen kann oder nicht. In der Sportschule wäre mir diese Entscheidung abgenommen worden, da hätte ich mich nur an den Stundenplan halten müssen. Hier in Berlin hören viel Sportschüler nach dem Abitur auf, weil sie es nicht gewöhnt sind, sich selbst zu organisieren.

Zur Selbstorganisation gehört auch das Meldewesen im Anti-Doping-Kampf. Sie müssen den Dopingjägern immer akkurat mitteilen, wo Sie gerade sind.

Ich bin ein positiv denkender Mensch. Deshalb gehe bei meinen Konkurrentinnen grundsätzlich nicht vom Schlimmsten aus, und da empfinde ich es schon als Belastung für mich, dass ich wirklich jeden persönlichen Termin melden muss. Es gibt eigentlich keine Spontaneität mehr in meinem Leben. Dauert unser Interview eine halbe Stunde länger als geplant, muss ich das sofort melden, sonst drohen Sanktionen.

Da halten Sie dann lieber ganz akribisch Ihren Plan ein.

Oder man geht sogar bewusst ein Risiko ein. Wenn zum Beispiel die Uni früher aufhört, dann kann es sein, dass ich spontan zum Laufen gehe, ohne das mitzuteilen. Das ist ein Risiko, das ich bewusst eingehe. Ich akzeptiere die Regeln, aber wie weit ich sie umsetze, bestimme ich. Der Rest ist mein Risiko.

Sind sie schon einmal erwischt worden?

Moderner Fünfkampf

■ Die Vielseitigkeitssportart wurde einst als olympischer Wettbewerb konzipiert. Die Disziplinen sind Pistolenschießen, Degenfechten, Schwimmen (200 Meter Freistil), Springreiten und Crosslaufen (3.000 Meter). Während der Sommerspiele in Stockholm 1912 wurde der Wettbewerb erstmals ausgetragen. Zweimal bereits stand der Moderne Fünfkampf in den vergangenen Jahren auf der Streichliste des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), weil man den hohen Aufwand für die Wettkampfstätten und das geringe Publikumsinteresse monierte. Um die Attraktivität zu steigern, wurden daraufhin ab 2009 die Disziplinen Schießen und Laufen wie beim Sommerbiathlon kombiniert. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London (27. Juli bis 12. August) wird dieses Reglement erstmals zur Anwendung kommen. Eine weitere Neuerung: Es wird mit der Laser- statt der Luftpistole geschossen. Die Einzelwettbewerbe der Frauen und Männer finden an den letzten beiden Tagen, am 11. und 12. August statt.

An meinem letzten Praktikumstag habe ich mit meinem Chef und den Mitarbeitern noch einen Kaffee zum Abschied getrunken. Das hat sich so lange hingezogen, dass ich meine Trainingseinheit verpasst habe. Und dort warteten die Kontrolleure. Das passiert so leicht. Und passiert es noch zweimal, dann werde ich für zwei Jahre gesperrt, als Dopingsünderin abgestempelt und verliere alle meine Förderer.

Ist die strenge Kontrolle nicht wichtig?

Es ist gut und richtig, dass wir ein solches System haben. Das haben aber lange nicht alle Athleten. Wenn es alle hätten, könnte man es besser ertragen.

Empfinden Sie das als Einschränkung Ihrer persönlichen Freiheiten?

Durchaus. Man fragt sich ja auch, wer auf die Daten Zugriff hat. Da steht meine Wohnadresse drin, da steht drin, wann ich nicht zu Hause bin. Aber ich habe keine Wahl. Entweder ich mache Leistungssport oder ich lasse es bleiben, dann muss ich auch die Daten nicht melden.

Spüren Sie, dass das Vertrauen in den Leistungssport schrumpft?

Nach all den Vorfällen bei der Tour de France hat man schon gemerkt, dass Spitzensport manchmal mit Doping gleichgesetzt wird. Das haben auch meine Schwestern zu spüren bekommen. Als die 2008 während meines Wettkampfs in Peking ihre Lehrerin gefragt haben, ob sie mal im Internet nachsehen dürften, wie es gerade steht, hat die gesagt: Die sind doch sowieso alle gedopt. Als ich das hörte, bin ich schon sehr erschrocken.