Das Wohnheim des Herrn Augenreich

Saga möchte Männerwohnheim in Harburg wegen geringer Nachfrage schließen. Viele Bewohner wollen ihre Unterkunft mit Gemeinschaftsklo nicht verlassen. Bezirksversammlung will Bedarf klären. Sozialwohnungen kämen die Stadt teurer

Von Gernot Knödler

Sie sind Rentner, die nicht dem Sozialamt zur Last fallen wollen; Gastarbeiter, die den Großteil ihres Lohns in die Heimat überweisen; Alte, die nicht ins Heim wollen; Männer mit Schulden; Männer, die Arbeitslosengeld II beziehen; Männer, die von einer normalen Wohnung überfordert wären. Eine Klientel, die gar nicht ungewöhnlich ist, die aber ihre unterschiedlichen Probleme und Aufgaben mithilfe einer ungewöhnlichen Wohnform löst: dem Männerwohnheim (siehe Kasten). In der Heimfelder Grumbrechtstraße soll wieder eines aufgelöst werden. 95 Bewohner haben eine Protesterklärung dagegen unterzeichnet. Die Bezirksversammlung Harburg hat die Saga als Eigentümerin des Wohnheims gebeten, mit Zahlen zu belegen, dass die Wohnheimplätze weniger gefragt sind als früher.

„Wirtschaftlich lohnt sich der Betrieb nicht mehr, weil es viel zu wenige gibt, die hier wohnen wollen“, behauptet Saga-Sprecher Mario Spitzmüller: „Diese Wohnform ist nicht mehr zeitgemäß.“ Seit 2001 hätten viele Zimmer leer gestanden, die bis dahin saisonweise an Monteure vermietet worden seien. Um den Leerstand nicht weiter subventionieren zu müssen, habe sich die Saga entschlossen, das Heim aufzugeben. „Das wird geschlossen, sobald wir für alle Bewohner Lösungen haben“, sagt Spitzmüller. Den Mietern würden andere Wohnungen angeboten.

Mieter-Vertreter Hans Augenreich sieht das anders: Seit Mitte 2004 würden die Mieter zum Ausziehen gedrängt. Da sei es kein Wunder, dass das Haus nur noch zur Hälfte belegt sei. Seiner Ansicht nach gibt es durchaus Bedarf für die kleinen Zimmer. Weil der 69-Jährige schon einmal erfolglos für ein Männerwohnheim kämpfte, hat er sich das von zwei Beratungsstellen für Wohnungssuchende und der Suppenküche Alimaus schriftlich geben lassen.

„Wir haben im Schnitt zirka 300 Ratsuchende jährlich in unserer Sprechstunde“, schreibt etwa die Beratungsstelle Harburg. In 50 dieser Fälle, bei denen es um akute oder drohende Wohnungslosigkeit gehe, sei das Männerwohnheim eine adäquate Unterkunftsmöglichkeit.

Eine einfache Unterkunft, wo sie die Tür hinter sich zu machen könnten, würden viele Obdachlose gerne in Anspruch nehmen, sagt Stephan Karrenbauer, Sozialarbeiter bei dem Obdachlosen-Projekt Hinz&Kunzt. „Das Wohnheim ist eine Notlösung“, gibt Jürgen Stiefele von der Ambulanten Hilfe Altona zu bedenken. Es bestehe die Gefahr, dass sich die ehemals Wohnungslosen dort festsetzten und ihre soziale Lage zementiert werde.

Für Augenreich zählen dagegen die Gemeinschaft im Wohnheim und der unschlagbar niedrige Preis. Der sei wichtig für die Selbstzahler und spare der Stadt bei ALGII-Empfängern Wohngeld. Auf 140 Leute gerechnet, kommt man im Vergleich zu den günstigsten Saga-Wohnungen leicht auf eine Viertelmillion Euro im Jahr. Dabei gibt es auch für Augenreich Grenzen beim Substandard-Wohnen.

Auf jedem Stockwerk gibt es am Ende des Flurs eine sechseinhalb Quadratmeter große Kammer. Darin ist ein Sicherungskasten, der für den Heimleiter zugänglich sein muss und der laut klackt, wenn im Flur Licht gemacht wird. Ebenso gut ist das Wasser zu hören, das im Klo nebenan rauscht.

Augenreich erbost besonders, dass die Saga einen Vietnamesen, der kein Deutsch spricht, in so einen Raum eingewiesen hat, nachdem ihm zunächst ein normales Zimmer versprochen worden war. 163 Euro kostet das Kämmerchen nach Angaben der Mieter. Die Saga wollte zu dem Fall nicht Stellung nehmen.