piwik no script img

Café Tiraspol

AUS EILENBURG UND TIRASPOLTHOMAS GERLACH (TEXT) UND KAI ZIEGNER (FOTOS)

Als ihm der Staatspräsident zum ersten Mal die Hand reichte, dachte Hubertus Wacker an Mummenschanz. Der Präsident von Trans … was?!! Von Transnistrien? Es klang nach Operette. Das war im November 2000. Mittlerweile hat der Eilenburger Oberbürgermeister mit Präsident Igor Smirnow die Parade der Kriegsveteranen und der Werktätigen in Tiraspol abgenommen, mittlerweile gibt es dort das „Café Eilenburg“, es gab Einladungen, Konferenzen und eine Vertragsunterzeichnung. Jetzt kennt der 49 Jahre alte Wacker das Land zur Genüge. Man könnte fast sagen, er hat es satt.

Wacker steht in seinem getäfelten Amtszimmer und blickt aus dem Fenster: rechts die Löwenapotheke, links der „Rote Hirsch“. Staatsgäste werden nicht kommen, kein Präsident und kein Minister. Tiraspol ist weit, der Gedanke an Operette verflogen. Zwischenzeitlich erinnerte vieles an Melodram, vielleicht auch an „Faust“. Immerhin hat Hubertus Wacker in jenem Staat einen Vertrag über die Städtepartnerschaft zwischen Eilenburg und der Hauptstadt von Transnistrien, Tiraspol, unterzeichnet und damit politisch vermintes Gelände betreten. Einige Ladungen sind hochgegangen: das Auswärtige Amt hat sich gemeldet, die moldawische Regierung ist verschnupft, und bald wird es auch Präsident Smirnow sein. Es hätte schlimmer kommen können. Wacker schüttelt den Kopf. „Den Bürgermeister werd ich nicht mehr einladen.“ Das brüderliche Band löst sich.

Ritterschlag der Lions

Alles hatte hoffnungsfroh begonnen. Der Erste, der aus Sachsen nach Transnistrien aufbrach, war ein Eilenburger Unternehmer, der dort einen Auftrag erhielt. Als er zurückkam, berichtete er seinen Freunden vom Lions Club von den jämmerlichen Zuständen im Tiraspoler Kinderheim, daraufhin sammelten die Wohltäter Geld, ein krankes Kind wurde zur Heilung nach Sachsen geholt. Die Beziehungen entwickelten sich. Bald besuchte Präsident Smirnow den Landkreis, er besichtigte das Eilenburger Rathaus und drückte dem Bürgermeister die Hand. Eine Abordnung der Lions reiste im Juni 2002 an den Dnjestr und überreichte in Tiraspol dem dort neu gegründeten Lions Club die Ernennungsurkunde. Und so standen sie an einem lauen Sommerabend im Foyer der Kognakfabrik „Kvint“ auf marmorner Treppe. „Ich bin froh, dass Ihr Land, die transnistrische moldawische Republik, das 188. Mitglied des internationalen Lions Clubs geworden ist“, gratulierte der damalige Präsident der Eilenburger Lions. Ein diplomatischer Ritterschlag – vollzogen vom Steuerberater aus Eilenburg.

Danach wiegte sich das Volkskunstkollektiv im Takt, Burschen stemmten Fäuste in die Hüften, Mädels tanzten, Stiefel knallten, und ringsum rann der Schweiß. So wurde die Partnerschaft Takt für Takt fester geklopft.

Danach besuchten die Eilenburger ein Kloster, Weinberge und ein Sanatorium. Die transnistrische Presseagentur behauptete später: „Nach den Worten der Mitglieder der deutschen Delegation hat unsere Republik großes Interesse bei den deutschen Reisebüros hervorgerufen.“ Die Eilenburger Rathausnachrichten meldeten: „Beziehungen zwischen Eilenburg und Tiraspol entfalten sich“.

Nach jener Fahrt stimmte der Eilenburger Stadtrat für die Partnerschaft mit Tiraspol, und im Oktober 2002 reiste eine Delegation mit Bürgermeister Wacker an der Spitze zum 210. Stadtgeburtstag nach Tiraspol, wo am Rande der Vertrag unterzeichnet werden sollte. Als Wacker das erste Mal durch Tiraspol chauffiert wurde, vorbei an der Ewigen Flamme und dem T-34-Panzer auf dem Sockel, erblickte er die Leuchtreklame vom „Café Eilenburg“. Café was?!! Wacker zuckte zusammen. Das war keine Operette, auch keine Fata Morgana. Arbeiter verlegten die letzten Quadratmeter Teppich. „Einweihung ist morgen nach der Parade!“ Sein Amtskollege Wiktor Kostyrko setzte ein Siegerlächeln auf. Und bei Hubertus Wacker kroch eine Ahnung hoch, dass so mancher hier gern ein „Café Tiraspol“ in Eilenburg sähe.

„Tiraspol – die beste Stadt auf der Welt!“ bellten am nächsten Tag Lautsprecher vor der Tribüne, und sieben Sachsen standen wie Konsuln da: Oberbürgermeister Wacker, ein Steuerberater, ein Rathausmitarbeiter, ein Lackierermeister, eine Bankangestellte, ein Immobilienmakler und der frisch ernannte neue Präsident des Lions Clubs, ein Bausachverständiger. Sie standen beim Präsidenten, beim Bürgermeister, beim Chef des Stadtsowjets – mittendrin im geölten Sowjetapparat, der die Hammer-und-Sichel-Republik am Leben hält. Eine Maschine wie von Breschnew, nur als Miniatur.

Hubertus Wacker ließ den Blick schweifen: die Heldengräber vom Krieg 1992, die Ewige Flamme, das Panzermonument – und das „Café Eilenburg“. Da war ihm etwas unwohl. Und eine Stimme peitschte „Tiraspol – unsere Lieblingsstadt!“. Dann marschierten die Kollektive und winkten der Obrigkeit zu: Auf papierdünnen Sohlen ein Häuflein Kriegsveteranen, danach die Werktätigen vom Milch-, Fleisch- und Brotkombinat, von der Konserven-, der Textil- und der Spirituosenfabrik „Kvint“.

Das „Café Eilenburg“ war schnell eröffnet. Der Bürgermeister von Tiraspol hielt sein Glas hoch, der Bischof fischte Happen vom Büfett und die sieben Eilenburger schauten sich um wie Mieter in einer neuen Wohnung. Auf dem Boden hockte ein Dutzend Keramikhunde, die Wolfgang-Petry-CD lag bereit, an der Wand kreuzte sich Schwarzrotgold mit dem Rotgrünrot Transnistriens als stünde ein Staatsakt bevor.

Der Vertragsunterzeichnung im Rathaus von Tiraspol ging rasch vonstatten. Brot und Salz wurden gereicht, dazu Kognak, und eine Umarmung wie bei Generalsekretären. Den Bruderkuss ersparten sie sich. „Ich glaube, das ist nur der Anfang“, beschied Wacker seinem Kollegen, „die größte Arbeit liegt vor uns.“ Der erwiderte: „Ich hoffe, dass wir alles so schaffen, wie wir es vorhaben.“ Beim abendlichen Empfang aus Anlass des Stadtgeburtstags blieb Wacker unverbindlich: „Ich erhebe mein Glas auf die Bürger beider Städte!“ Ein Gast aus Russland reckte seinen Wodka in die Höhe und ließ auf den „Vorposten unseres Vaterlandes am Dnjestrstrand!“ anstoßen. Eine Russin trällerte ein Lied, das als „Hymne aller Slawen“ angekündigt wurde, und gerührt eilte der Chef der transnistrischen Grenztruppen zur Sängerin und dankte mit Handkuss. Es gab auch ein Wiedersehen mit Präsident Smirnow. Wacker redete über Demokratie, Smirnow verschenkte reichlich Kognak und verzog sich mürrisch durch die Hintertür.

Als Wacker dann den Stadion-Neubau mit seinem himmelblauen Dach erblickte, war es ganz mit der Gemütlichkeit vorbei. „Da passt das neue Zentralstadion in Leipzig mehrfach hinein!“ echauffiert sich Hubertus Wacker noch heute. „Für siebenhunderttausend Einwohner in ganz Transnistrien!“ Für einen Moment war er sprachlos, und jetzt in seinem Amtszimmer ist er es wieder. „Dann fragte ich nach dem Bauherrn, dem Bauträger, der Finanzierung.“ Wacker blickte in die Gesichter der Entourage, der Sohn des Präsidenten kam im Geländewagen angeprescht. „Woher kommt das Geld?“ Fragen, die man so hat als Bürgermeister einer 17.000-Einwohner-Stadt. Schweigen. „Und dagegen das Kinderheim! Wie passt denn das?“ Schweigen.

Schokolade und Waffen

Als wäre alles vom Himmel gefallen. In gewisser Weise ist es das Stadion auch. Unter Mithilfe der Firma „Sheriff“, die im Land mit Supermärkten, Tankstellen und anderem zu so viel Geld gekommen ist, dass eines der größten Stadien Europas gebaut werden konnte. Mit Benzin, Schokolade und Bier schafft man das kaum. Von Drogen- und Waffenhandel ist seit langem die Rede. Die Grenze zur Ukraine ist offen, ein Tor für heiße Ware, die in Transnistrien deklariert und offiziell über Moldawien exportiert werden konnte. Wie gut, dass der Präsidentensohn der Chef der Zollverwaltung ist. Der hat auch geschwiegen.

Von der Dolmetscherin erfuhr der Bürgermeister beim Abschied wenigstens, dass sie an diesem Tag ihren fünfzigsten Geburtstag feiern wollte und dass der Kollege Bürgermeister sie am Morgen herbefohlen habe wie eine Leibeigene. Da kam dem gewesenen DDR-Bürger Wacker die ganze SED-Herrlichkeit hoch. Da war ihm ziemlich übel. Trotz der Gastfreundschaft. Die transnistrische Presseagentur meldete: „Bürgermeister Wacker teilte mit, dass die Eindrücke der deutschen Delegation sämtliche Erwartungen übertroffen haben.“

Abgehakt. Heute, zweieinhalb Jahre später, ist klar, dass ein Gegenbesuch nicht stattfindet. Das Auswärtige Amt hat sogar einen Transnistrien-Link auf der Eilenburg-Homepage moniert. Es gibt aber auch erfreuliches: Ein Lions-Bruder hat eine Frau aus Transnistrien nach Eilenburg geholt und geheiratet. Ein einstiger Rathausmitarbeiter hat am Dnjestr auch seine neue Liebe gefunden, lebt nun aber dort. Hubertus Wacker hat Mühe, das zu begreifen. Die humanitäre Hilfe werde weitergehen, beteuert er, und das Kinderheim ist schon in ein besseres Haus gezogen. Der Vertrag aber liegt sicher im Rathaus. Den Rest erledigt die Zeit. Manchmal ist Vergesslichkeit Gnade.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen