: Wo das Herz rechts schlägt
AUS ANNABERG-BUCHHOLZMICHAEL BARTSCH
Drinnen im „Kneipl“ hängen Ansichtskarten von Alt-Annaberg, auch ein Porträt von Johann Sebastian Bach. „Eigentlich hingen auch Goethe und Schiller hier, aber die mussten den Bildern weichen“, erklärt Pächter Ingo le Beau, der stämmige 40-Jährige mit hugenottischen Vorfahren.
Die Bilder – das sind Odin mit Speer und Falke sowie Thor mit dem Hammer, beide in düsterem Öl gehalten. Ein wenig altgermanischen Kitsch braucht es schon im Kneipl, der Gaststätte im Erzgebirgsstädtchen Annaberg-Buchholz. Jahrelang tagte der NPD-Landesvorstand Sachsen hier, und heute noch trifft sich der Kreisvorstand im Kneipl.
Die NPD-Stammkneipe und ihre Gäste passen nicht so recht in das Bild, das die aus den alten Bundesländern kommenden Scharfmacher im Sächsischen Landtag abgeben. Und sie passen auch nicht zur offenen Kungelei der NPD mit militanten Neonazis. Wiewohl Rechtsradikale im Straßenbild kaum zu finden sind, hat die NPD bei den Landtagswahlen im letzten September hier 14 Prozent geholt. Die Leute hier haben nicht Hetz-Rhetoriker wie den Fraktionsvorsitzenden Holger Apfel, 34, gewählt. Sondern Biedermänner, die den Leuten in der abgehängten Region das Gefühl gaben, die NPD setze sich für sie ein. Die Fremdenhass und Geschichtslügen mit sanften Worten rechtfertigen. Man braucht sich gegenseitig: die Ideologen ihre volksverbundenen Vermittler zur Wählerbasis, und die NPDler mit Ostbiografie die Verbalartillerie aus dem Westen.
Le Beau ist einer dieser Vermittler. „Wer Stress macht, darf gehen“, verkündet der Pächter des Kneipls. Das Gasthaus stehe jedermann offen, auch Ausländer gehörten zur Stammkundschaft. Einer älteren Dame etwa, die kurioserweise mit einem Türken verheiratet sei, will er Hausverbot erteilt haben, weil sie das Hissen einer Hakenkreuzfahne verlangt habe. Was le Beau erzählt, klingt nach einer Mischung aus Geschäftssinn und Überzeugung. „Das ist mein Geschäft“, sagt er, „ich lebe davon.“
Das Haus freilich gehört nach wie vor dem ehemaligen NPD-Bundesvorsitzenden Günter Deckert aus Heidelberg. Der 65-Jährige ist wegen Volksverhetzung, Rassismus und Holocaust-Leugnung mehrfach vorbestraft. Deckert entdeckte 1990 bei seinem ersten NPD-Werbefeldzug durch den Osten seine Liebe zum Erzgebirge. Auf Ingo le Beau machte der Rechtsextreme Deckert damals „auf Anhieb einen sympathischen Eindruck“. Ebenso wie der heutige NPD-Landtagsabgeordnete Klaus Baier, der 1999 mit 15 Gesinnungsgenossen den Kreisverband Annaberg gegründet hat. Durch Baier kam le Beau im letzten Jahr Jahr zur NPD, und Deckert bot ihm mit der Kneipe auch gleich einen Job.
Wie wichtig das für le Beau ist, zeigt sein Lebenslauf. In kurzen Sätzen erzählt er: Ein „gebranntes Kind“ sei er, von der DDR verstoßen und von seinen „Westerfahrungen“ zutiefst ernüchtert. Die Eltern waren beide SED-Mitglieder. Sein Vater sagte sich von ihm los, nachdem der 15-jährige Ingo Anfang der Achtzigerjahre über die tschechische Grenze ausgebüxt war und nach zwei Wochen Tramptour kurz vor der österreichischen Grenze geschnappt worden war. Der Fluchtversuch kostete ihn zwei Jahre verschärfte Jugendstrafe in Dessau. Le Beau wurde früh Vater, aber seine Frau, sagt er, sei bald „mit einem Neger abgerückt“.
Nach der Wende landete der gelernte Fleischer und Koch auf Umwegen im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Formal bei einer Chemnitzer Tochterfirma angestellt, lernte er in München den „schönen Schein West“ kennen: 5,60 Euro Stundenlohn, Überstunden und muffige Quartiere. Das Pendlerdasein zerstörte seine Ehe. „Als ich dann am Wochenende nach Hause kam, war die Wohnung leer.“ Was blieb, waren seine Erfahrungen im Wachdienst. In seiner Erzählung wimmelte es da nur so von schwierigen Ausländern und kleinkriminellen Jugendlichen, denen die Bundesrepublik – in le Beaus NPD-Jargon das „System“ – keine Perspektive bietet.
Zu den Nationaldemokraten habe ihn vor allem der Wunsch getrieben, „etwas zu verändern mit Herz und Hand“. Schließlich stecke die Karre tief im Dreck, besonders im Erzgebirge, das zum Armenhaus werde. Die Frage nach umsetzbaren Gegenkonzepten der NPD bringt le Beau in Verlegenheit. Schließlich sagt er: „Es ist viel Hoffnung im Spiel.“ Er jedenfalls trägt seinen Teil bei. Wie der 1960 geborene NPD-Landtagsabgeordnete und Krankenpfleger Klaus Baier auch, bietet le Beau in seinem Haus Ausgestoßenen eine Art Asyl zu niedrigsten Mieten. Außerdem betreut er eine ältere Analphabetin.
So etwas bringt nicht nur Wählerstimmen, so etwas verwirrt auch die „Altparteien“ und Journalisten. „Das Bild in den Medien korrigieren“ will denn auch Klaus Baier. Er räumt ein, dass es noch NPD-Mitglieder gibt, „die man sich in keiner Partei wünschen würde“. Aber, sagt Baier, mittlerweile herrsche „Disziplin.“ Er kann und will nicht sagen, was daran Taktik und was Überzeugung ist. Einer Diskussion über die Bezeichnung der Bombardierung Dresdens als „Bomben-Holocaust“ durch seinen Fraktionskollegen Jürgen Gansel, 30, weicht Baier aus. Er predigt lieber Versöhnliches: „Wir differenzieren nicht zwischen guten und schlechten Toten. Unser aller Fehler ist, viel wertvolle Zeit und Kraft zu verschwenden, um über Vergangenheit zu streiten, sich gegenseitig aufhetzen zu lassen.“ Hitler und Stalin seien tot, Hartz IV und Sozialabbau aber Gegenwart. Das klingt so gar nicht nach den Apfels und Gansels im Dresdener Landtag. „Was mir nicht passt, mache ich nicht mit“, sagt Baier, der während der berüchtigten Landtagsdebatte zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar zeitweise das Plenum verlassen hatte. Er glaubt: „Es gibt eben auch in der NPD einen linken Flügel.“
Mit links meint Baier wohl, dass er die Angst seiner Mitbürger vor dem sozialen Abstieg kennt. Und das Gefühl, in der DDR sei es irgendwie besser gewesen. Die Menschen im Erzgebirge erregen sich über den Verlust an Geborgenheit und Zusammenhalt nach der Wende wie überall im Osten auch. Familien werden auseinander gerissen, wenn die Eltern pendeln müssen oder ihre Kinder in den Westen gehen, der Arbeit hinterher. Es sei eben alles nicht mehr so wie früher, sagt Baier, als man noch die Heimatbräuche pflegte und einfach mehr zusammenhielt.
Der DDR-Erfahrungshintergrund ist wichtig für die NPDler vor Ort. Auch für Gitta Schüßler aus Limbach-Oberfrohna im Vorland des Erzgebirges, die einzige weibliche NPD-Landtagsabgeordnete: „Die DDR-Werte sind uns genommen worden“, sagt die Bürokauffrau. Alles sei dem Geld untergeordnet und dem Individualismus geopfert worden. Die selbstbewusste Abgeordnete passt so gar nicht ins Freund-Feind-Schema, wie es „Bomben-Holocaust“-Erfinder und Fraktionskollege Jürgen Gansel propagiert. „Ob nun Rechte oder Zecken, es sind doch alles unsere Kinder“, sagt Gitta Schüßler. Die 43-Jährige ist bereits Großmutter. Sie war eine typische junge DDR-Mutter, die es gewohnt war, Beruf und Kinder zu vereinbaren. Wie fühlt man sich da? Ist die NPD nicht eine Männerpartei? „Leider noch“, antwortet sie. Ein Freund habe sie neulich „nationale Emanze“ genannt. Sie hat abgewehrt: „Ich mag nun mal keine nationalen Häkelkurse!“
Frühestens auf den zweiten Blick kommt der von den einheimischen NPD-Leuten selbst als harmlos empfundene nationalistische Sumpf zum Vorschein, auf dem Rassismus und Geschichtsvergessenheit gedeihen können. Der NPD-nahe Erzgebirgische Beobachter beispielsweise tümelt alljährlich um Weihnachten in der germanischen Julzeit herum und gedenkt ausschließlich deutscher Kriegsopfer.
Derlei ist leicht angreifbar. Sehr viel schwerer kommen die demokratischen Parteien mit dem bürgernahen Auftreten der NPD zurecht. „Mit radikalen, sich selbst entlarvenden Rechtsextremen kann man leichter umgehen als mit der biederen Tarnkappe“, räumt der aus Annaberg stammende sächsische Kultusminister Steffen Flath (CDU) ein. Die Union ist inzwischen als Hoffnungsträgerin im traditionell konservativen Erzgebirge diskreditiert – zu hoch ist hier die Arbeitslosigkeit. Ungern lässt sich Flath, 48, an eine Diskussion im Annaberger Theater vom November erinnern, die eigentlich die NPD entlarven sollte. Nach der Veranstaltung gab es 15 Neueintritte in den Kreisverband der Rechtsextremen.
„Wir sind eigentlich keine richtige Volkspartei mehr“, gesteht Steffen Flath ein. „Wir müssen etwas tun!“ Aber was? Einige Demokraten in Dresden hoffen darauf, die NPD-Fraktion entlang der Ost-West-Linie spalten zu können. Dieser Versuch sei aber „Quatsch“, meint die Ostdeutsche Gitta Schüßler. Man sei in einem gemeinsamen Meinungsfindungsprozess, nicht alle Parolen würden kritiklos mitgetragen. Die Rollenverteilung sei doch in Ordnung – wenn die Frontmänner aus dem Westen nun einmal besser reden könnten.