: Berlin hält die Luft an
Hauptstadt überschreitet den erlaubten Feinstaub-Grenzwert: An 35 Tagen war die Luft dreckiger als erlaubt. Der Senat denkt plötzlich über Lkw-Umleitungen nach und leistet sich eine peinliche Panne
von Ulrich Schulte
Jetzt ist es amtlich: Auch die Berliner Luft ist schmutziger als erlaubt. Nach anderen deutschen Großstädten wie München und Stuttgart hat auch die Hauptstadt gegen die seit 1. Januar EU-weit geltende Feinstaubrichtlinie verstoßen. Die Messstation an der Neuköllner Silbersteinstraße hat an 35 Tagen mehr als 50 Mikrogramm der mutmaßlich Krebs erregenden Partikel pro Kubikmeter Luft gemessen. So viele Überschreitungen sind nach der EU-Richtlinie aber nur im ganzen Jahr erlaubt. Die Station hat die kritische Marke bereits am 6. April geknackt.
Die Stadtentwicklungsverwaltung, die die Sperrung einzelner Straßen für Dieselfahrzeuge bisher ablehnte, überlegt jetzt, durchfahrende Lkws auf die nahe liegende Stadtautobahn umzuleiten: „Im Gegensatz zu Straßen wie der Frankfurter Allee kann das hier sinnvoll sein, weil die Stadtautobahn in unmittelbarer Nähe liegt“, sagte Sprecherin Manuela Damianakis gestern. Dort sei die Belastung für Anwohner geringer, da sich keine Wohnhäuser direkt neben der Fahrbahn befänden. Doch das ist längst nicht sicher: Seit gestern werde der Anteil von Lkws am Verkehr durch Zählungen ermittelt, so Damianakis. Erst wenn Ergebnisse vorliegen, will die Behörde eventuell sperren. Auch für die frühere Einrichtung der Umweltzone, also die Sperrung der Innenstadt für Dieselstinker, sei der Senat offen – „Vorausgesetzt, die anderen Länder ziehen bei unserer Bundesratsinitiative zur Kennzeichnungspflicht von Dieselfahrzeugen mit.“
Berlins offizielle Verstaubung geht mit einer peinlichen Panne einher. Denn auf der Internetseite des Umweltbundesamtes, die die Überschreitungen der Feinstaubwerte täglich meldet (www.env-it.de/luftdaten/trsyear.fwd), taucht die Silbersteinstraße gar nicht auf. Deswegen wurde die Grenzüberschreitung so spät bekannt. Man habe dem Amt eine Aktualisierung des Messnetzes rechtzeitig mitgeteilt, so die Version der Stadtentwicklungsverwaltung. „Wir wollten die Werte der Messstation Stadtautobahn rausnehmen und durch jene der Container an der Karl-Marx- und Silbersteinstraße ersetzen“, sagt Damianakis.
Das Umweltbundesamt sieht das anders. Der Brief der Behörde sei auf den 29. März datiert, sagt Ute Dauert vom Bundesamt. Zwar sei die Erfassung der aktuellen Tageswerte der Station dann schnell möglich, „aber uns fehlen natürlich die Ergebnisse der Station von den Monaten davor“. Die habe Berlin bisher nicht ausreichend nachgeliefert.
Die Grünen kündigten an, beim Senat nachzufragen, was schief lief: „Schon im Januar hat ein Bürger das Umweltbundesamt darauf aufmerksam gemacht, dass die Silbersteinstraße in der Liste fehlt“, so Umweltexpertin Felicitas Kubala.