Entschleunigter Sidekick

Der nette Mensch im Mittelgebirge: Manuel Andrack hat ein Buch über das Wandern geschrieben – und erweist sich darin unaufgeregt eher als der Thomas-Bernhard- denn als der Peter-Handke-Typ

VON ANDREAS MERKEL

Einigen geht er inzwischen ein wenig auf die Nerven, der gemütliche Dicke an der Seite von Harald Schmidt („neben mir im Studio für den Sport …“). Sie betrachten ihn längst als Teil der allgemeinen Eltonisierung des deutschen Fernsehens, des Hochhaltens von dumpfer Durchschnittlichkeit: Gebt mir nette Nebenfiguren zur Hauptsendezeit! Zu seiner Verteidigung muss jedoch gesagt werden, dass Manuel Andrack erstens nicht so dick ist wie Stefan Raabs Expraktikant Elton und zweitens – um in der ihm eigenen, stets um Laxheit bemühten Diktion zu bleiben – „ein Guter“ ist. Denn während andere Sidekicks und TV-Sternchen in mittelalterlichen Burgen rumturnen, auf Almwiesen Kühe melken oder in Jahrzehnte-Shows Lambada tanzen, nutzte Andrack die ihm „aufoktroyierte“ (Helmut Schmidt) Kreativpause, um in der Heimat herumzuwandern und dann, okay, ein Buch darüber zu schreiben.

„Du musst wandern – Ohne Stock und Hut im deutschen Mittelgebirge“ (Verlag Kiepenheuer & Witsch, 8,90 €) schlägt dem Leser ein paar vom Autor selbst getestete Wege vor durch Eifel, Rothaargebirge, Sächsische und Böhmische Schweiz, Hunsrück und den Harz.

Dabei handelt es sich nicht um einen Wanderführer im strengen Sinn – die Routen wurden schön dilettantisch mit Hand aufgemalt und liebevoll beschriftet –, sondern um kleine Erlebnisberichte in etwa auf dem Niveau der Einspielfilme in der Harald-Schmidt-Show, wenn Andrack wieder mal bei der Tour de France oder mit FC-Fans im „Sambawagen“ der Deutschen Bahn unterwegs gewesen ist. Für den, der „nicht so gerne lesen mag“, gibt es viele Schwarz-Weiß-Fotos von Manuel mit Familie und Freunden beim Wandern, bei deren Untertitelung der Autor eine leicht zwanghafte Neigung zum kalauernden Wortspiel („I am the king of Elbsandsteingebirge“; „Goethe, der Godfather of Romantik“) nur schwer unterdrücken kann. Es wurde schon mehr gelacht.

Aber das kann Andrack andererseits nur recht sein, dient ihm das Wandern doch weniger als trendiger Funsport denn vielmehr zur inneren Einkehr, zum „entschleunigten“ Bewegen (Jogging machten irgendwann die Gelenke nicht mehr mit) sowie nicht zuletzt dem Kennenlernen der heimatlichen Landschaften. „Was ich nicht erlernt habe, das habe ich erwandert“, wird Goethe zitiert, und es ist schön zu lesen, wie Andrack in der Freizeit die zwei Herzen in seiner Brust – den Spießer mit dem Freigeist, den kühlen Technokraten mit dem naiven Genussmenschen – zu versöhnen weiß. So werden am Ende jeder Wanderung penibel die Streckenlänge und die daraus hervorgehende WDG („Wanderdurchschnittsgeschwindigkeit“) errechnet, aber auch die Biere und Autokennzeichen der Region vermerkt. Besonders stolz ist man, wenn bei einer Wanderung mehre Autokennzeichen-Landkreise „geschafft“ wurden.

Obwohl er auch schon mal allein 40 Kilometer runterreißt, ganz meditativ wird und keine Mountainbiker grüßt, ist Manuel Andrack kein verstiegener Peter-Handke-Wanderer. Er genießt durchaus die Gesellschaft anderer, liefert sich mit seinem Freund klammheimliche Laufduelle am Berg, geht rührend auf seine Töchter ein, die sich über den „Fuck-Weg“ beschweren, und freut sich, wenn er eine Woche später von seiner Mutter und Tante Herti erfährt, dass dem wortkargen Vater die zum Geburtstag geschenkte Wandertour doch gut gefallen hat.

Insgesamt ist Andrack also eher der Thomas-Bernhard-Typ, dem es mit seinem Spezi Hennetmair ja auch vor allem darum ging, sich wieder einen richtigen Hunger für die nächste Mahlzeit zu erlaufen. Anstelle eines Nachworts gibt es ein paar launische Schnappschüsse vom deutschen „Botschafter des Biers“ 2002 beim verdienten Feierabend-Weizen.

Wie alle in einer Generation, „die nichts erlebt hat und nichts erleben wird“ (F. Schirrmacher), ist Andrack letztlich darum bemüht, sich selbst vom Gegenteil zu überzeugen. Also irgendwie von der Couch hochzukommen, um nicht als Weichei vor dem Fernseher zu verenden. Unter den zahlreichen Event-Sportarten, die dabei von Paragliding bis Pfahlsitzen herausgekommen sind, ist Wandern sicherlich immer noch die unaufgeregteste und angenehmste. Genauso verhält es sich mit Manuel Andracks Buch unter den aktuellen Halbpromi-Veröffentlichungen.