: Konfrontation gegen Information
Skandinavische Gewerkschaften haben unterschiedliche Strategien gegen die Billigkonkurrenz aus Osteuropa: In Schweden wird verjagt, in Norwegen setzt man auf Solidarität
STOCKHOLM taz ■ „Wenn ich das Dreifache bekomme wie zu Hause, interessiert mich nicht, was der schwedische Tariflohn ist.“ Für den 61-jährigen Levs Nogins aus Riga ist die Rechnung aufgegangen. Ohne die Gewerkschaften. Der Betonarbeiter hat mit 15 Kollegen eine ehemalige Kaserne im Stockholmer Vorort Vaxholm zu einer Schule umgebaut. Die Ausschreibung hatte das lettische Bauunternehmen „Laval un Partneri“ (L&P) gewonnen. L&P zahlte Tariflohn, aber nur den lettischen, und diverse Zuschläge. Rund 9 Euro pro Stunde. Nicht nur Nogins war hoch zufrieden.
Für die schwedische Bauarbeitergewerkschaft sind das Dumpinglöhne. Sie forderte – ohne deren Mandat – für die lettischen Kollegen den vergleichbaren Stundenlohn eines schwedischen Bauarbeiters: mindestens 16 Euro pro Stunde. Und blockierte – nach schwedischem Arbeitskampfrecht zulässig – die Baustelle. Müssen wir schwedische Löhne zahlen, sind wir nicht mehr konkurrenzkräftig, sagte L&P. Als auch ein Arbeitsgerichtsprozess keine Lösung brachte, vereinbarte man mit dem Bauherrn einen Rückzug aus dem Projekt. Für die schwedische Gewerkschaft ein Sieg über Lohndumping.
In Lettland sieht man das anders. Livija Marcinkevica, stellvertretende Vorsitzende des lettischen Gewerkschaftsverbands LBAS, fragt, ob da nicht mit zweierlei Maß gemessen werde. Müsse die Alt-EU dann logischerweise nicht auch die Grenze für Skodas schließen, die in Tschechien mit Billiglöhnen produziert werden? Livija Marcinkevica kann außerdem rund 50 skandinavische Unternehmen aufzählen, deren lettische Töchter sich weigerten, lettische Tariflöhne zu zahlen, und gewerkschaftliche Aktivitäten mit einem Rauswurf beantworteten.
In Norwegen versucht man einen anderen Weg einzuschlagen als die schwedische Gewerkschaft im Falle Vaxholm. „Unsere osteuropäischen Arbeitskameraden sind uns herzlich willkommen“, sagt Hans Olav Felix von der Elektrikergewerkschaft. „Aber wir haben etwas dagegen, wenn sie ausgenutzt werden.“
Ironischerweise ist es gerade Norwegen als Nicht-EU-Mitglied, auf dessen Arbeitsmarkt die EU-Osterweiterung in Nordeuropa bislang die deutlichsten Spuren hinterlassen hat. Der EU verbunden durch das EWR-Abkommen über einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum, hat sich Norwegen seit dem 1. Mai 2004 vor allem für Menschen aus Polen und dem Baltikum zu einem begehrten Arbeitsmarkt entwickelt. Genau wie in Schweden gibt es im Gegensatz zu den meisten EU-Ländern keinerlei Übergangsfristen für Arbeitssuchende der EU-Neulinge. Im Gegensatz zu Schweden aber sucht man in Norwegen in vielen Branchen händeringend nach Arbeitskräften.
Nicht Konfrontation, sondern Information ist deswegen das Motto, nach dem die Gewerkschaften arbeiten. Man lädt vor Ort zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten ein, bietet Sprachkurse an und bemüht sich, den Kontakt mit den Gewerkschaften in den Herkunftsländern zu festigen. Auch die dänische Bauarbeitergewerkschaft schloss Abkommen mit Schwesterorganisationen in den drei baltischen Staaten über Informationsaustausch und direkte Hilfe für Kollegen, die auf dänischen Baustellen arbeiten. Der finnische Gewerkschaftsverband eröffnete ein eigenes Informationsbüro in Estlands Hauptstadt Tallinn. Das Ziel dieser Initiative: das Bewusstsein dafür zu stärken, dass Solidarität auf Gegenseitigkeit beruht.
Doch auf der anderen Seite der Ostsee fehlt den norwegischen Gewerkschaften noch ein starker Partner. Annika Tagaküla von der Bauarbeitergewerkschaft Estlands: „Zu Sowjetzeiten waren die Gewerkschaften mit der Kommunistischen Partei verbunden. Sie sind deshalb noch heute sehr unpopulär. Damals konnte man über Gewerkschaftsbeziehungen Fernseher, Auto oder eine Urlaubsreise bekommen. Diese Vorteile können wir nicht mehr bieten. Da meinen eben viele, das eine Prozent vom Lohn sei schon zu viel als Mitgliedsbeitrag.“ Und nur zu oft habe sie auch erlebt, wie Kollegen, die als Gewerkschafter entdeckt wurden, einfach entlassen worden seien und es schwer hatten, eine neue Arbeit zu finden. REINHARD WOLFF