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: Lehren aus dem Teuro – ein Mindestlohn ist sinnvoll

Eigentlich haben die Gegner eines neuen Entsendegesetzes ja Recht. Detailliert setzen sie in diesen Tagen auseinander, warum die Ausdehnung dieser faktischen Mindestlohnregelung auf andere Bereiche als die Baubranche wahrscheinlich nicht allzu viel bringt.

Erstens besteht das Problem osteuropäischer Konkurrenz auf inländischen Arbeitsmärkten nur in wenigen Wirtschaftszweigen, weil das produzierende Gewerbe seine Fabriken im Zweifel lieber gleich jenseits der Grenzen baut. Und solange an der deutsch-polnischen Grenze eines der weltweit größten Lohngefälle zwischen zwei Nachbarstaaten besteht, schafft zweitens jede gesetzliche Verschärfung doch wieder neue Schlupflöcher. Folglich liegen die Arbeitgeber nicht ganz falsch, wenn sie von einer „Beruhigungspille“ sprechen, die sämtliche Parteien außer der FDP vor dem Urnengang in Nordrhein-Westfalen verabreichen wollen.

Aber was ist an einer Beruhigungspille so schlecht? Es scheint, als hätten die Politiker aus ihren Fehlern in der Debatte um den angeblichen Teuro gelernt. Auch bei der Einführung der Gemeinschaftswährung ging es um Probleme in eng umgrenzten Bereichen, etwa um dreiste Preissteigerungen bei Frischgemüse oder in der Gastronomie. Die Politik aber versuchte ein Phänomen zu leugnen, das im Alltag nicht zu übersehen war und entsprechende Ängste auslöste. Auch hier hätte ein symbolischer Schritt viel bewirkt, etwa eine Verlängerung der doppelten Preisauszeichnung im Einzelhandel. Dass die Politik nicht reagierte, hat eine tiefe Vertrauenskrise ausgelöst, die bis heute nicht geheilt ist und die auch beträchtlich zur aktuellen Niedriglohn-Furcht beiträgt.

Darüber sollte aber nicht vergessen werden, dass solche Angstdebatten auf beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs geführt werden. Die Regale polnischer Geschäfte sind randvoll mit westlichen Erzeugnissen gefüllt. Das schafft in den alten EU-Ländern vermutlich mehr Arbeitsplätze, als die neue Jobkonkurrenz umgekehrt vernichten könnte.

Dass die Wirkung aller Maßnahmen begrenzt ist, die zum Schutz des Arbeitsmarktes derzeit diskutiert werden, ist deshalb durchaus gewollt. Die Politik zeigt, dass sie das Problem ernst nimmt, ohne aber den europäischen Integrationsprozess abzuwürgen. Schließlich soll auch eine Beruhigungspille zwar den Schlaf erleichtern, aber nicht den Exitus herbeiführen.

RALPH BOLLMANN