: „Für einen Tag bin ich keine sündige Versuchung“
SAUDI-ARABIEN Die Bloggerin Hala al-Dossari erträumt sich eine Zukunft, in der sie sich in ihrem Land frei bewegen kann
■ Frauenwahlrecht: Frauen sind von Wahlen und Kommunalwahlen ausgeschlossen, sollen laut König aber ab 2015 teilnehmen.
■ Grundgesetz: kein expliziter Gleichheitsgrundsatz
■ Rechtslage: Diskriminierungen im Ehe- und Erbrecht, Einschränkungen durch das Vormundschaftssystem
■ Soziales: strikte Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben
■ Ökonomisch aktiv: 22 Prozent der Frauen, 47,4 Prozent mit Bachelorabschluss
■ Arbeitslosigkeit: 10,8 Prozent; 15- bis 24-Jährige: 45,8 Prozent (Frauen), 23,6 Prozent (Männer)
■ AnalphabetInnen: 29,2 Prozent (Frauen), 15,3 Prozent (Männer)
Was für ein Tag: Die heutige Debatte im Parlament ist schon jahrhundertealt, aber die Ergebnisse sind neu. Wie immer zitieren die Konservativen religiöse Texte und haben Angst um die Moral, wenn die Rechte von Frauen angesprochen werden. Aber die weiblichen Abgeordneten stehen für ihre Rechte ein.
Wir vom saudischen Frauenzentrum – dort bin ich in dieser schönen Zukunft wissenschaftliche Mitarbeiterin – haben uns mit den Abgeordneten zusammengetan. Gemeinsam ist es uns gelungen, die Überbleibsel der Diskriminierung abzuschaffen. Der größte Erfolg war die Verabschiedung des Familienrechts. Wir haben sogar ein Gesetz gegen häusliche Gewalt durchs Parlament gebracht. Jetzt werden saudische Frauen endlich geschützt. Berichte von Frauen, die jahrelang als Gefangene vegetieren, nachdem ihnen die Scheidung verweigert wurde, ewige Minderjährige, der Gnade ihres männlichen Vormunds ausgeliefert – solche Berichte sind längst Vergangenheit.
Auf dem Weg zum Auto schaue ich mir die Porträts der Männer und Frauen an den Wänden des Parlaments an, die sich für unsere Rechte eingesetzt haben. Unsere Verfassung, dargestellt in verschnörkeltem Arabisch, ist das Herzstück der Fassade. Geschaffen von Männern und Frauen, die an Menschenrechte glaubten. Künftige Generationen werden ihres Kampfes gedenken, den sie mit Demonstrationen und Petitionen führten.
Auf dem Parkplatz vor dem Parlament ist eine kleine Demo von Schülern, die mehr Geld für Musik- und Kunstunterricht in den Schulen fordern. Eine Polizistin leitet den Verkehr um. Ich komme gerade noch rechtzeitig, um meine Neffen von der Schule abzuholen. Eine Lehrerin verteilt Karten für den Schulball. „Wir haben Sketche über die letzten Wahlen“, sagt sie zu mir, „und wir stellen eine Demonstration der Frauen in den Neunzigern nach, die Auto fahren wollten.“
Ich lasse mein Auto im Parkhaus stehen und steige in die Bahn, um in die Innenstadt zu fahren, eine reine Fußgängerzone. Sie wurde auch hergerichtet, um ein umweltfreundliches Leben zu fördern. Wir sind auf dem Weg zu einer Veranstaltung über arabische Poesie im Kunstmuseum. Autoren signieren die jüngsten Ausgaben ihrer Bücher, und ihre Leser posieren für Bilder mit ihnen. Auf einer kleinen Bühne gegenüber dem Museum spielt eine Band junger Musikerinnen orientalische Musik.
Ich kenne ein Restaurant nicht weit von dort, das von einer begnadeten Köchin geführt wird. Sie hat es mit einem kleinen Kredit der Stadtverwaltung eröffnet. Inzwischen ist es bekannt für seine einheimische Küche.
Der Himmel erstrahlt in orangen Flammen, während wir draußen arabischen Kaffee und das mit Datteln gefüllte Gebäck essen. Die Palmen wiegen sich in der frühen nächtlichen Brise.
Von einem solchen Tag träume ich. Ich nehme aktiv am täglichen Leben meiner Familie teil. Ich darf frei mit anderen reden, ohne durch Zensur, diskriminierende Gesetze, Kleiderordnung oder die harte Hand der Regierung daran gehindert zu werden. Es wäre ein Tag, an dem ich mich frei in der Öffentlichkeit bewege, ohne als sündige Versuchung gegeißelt zu werden. Und mit einem Mal würde ich mich als stolze Bürgerin eines großartigen Landes fühlen.
■ Hala al-Dossari, 39, schreibt für die Tageszeitung Al-Hayat, den Guardian und Al-Jazeera