: Abwurf von Wohlstandsballast
TAZ-SERIE (LETZTER TEIL) Ökonom Niko Paech plädiert für eine Wirtschaft, die ohne Wachstum auskommt. Auch vom klassischen Umweltschutz hält er nicht viel
■ Der Mythos: Viele gehen davon aus, dass die Wirtschaft immer weiter wachsen muss, um die Welt zu ernähren.
■ Die Kritik: Spätestens seit der Club of Rome 1972 „Die Grenzen des Wachstums“ vorstellte, ist klar: Wachstum ist auf einem endlichen Planeten nicht unendlich.
■ Die Alternativen: Etliche Wachstumsskeptiker beschäftigen sich mit diesen Fragen. Die einen fordern eine Verlangsamung des Wachstums, andere den Stopp, einige die Rücknahme.
BERLIN taz | Wer kennt diese Situation nicht? Da hat man zu Weihnachten den langersehnten Fortsetzungsroman seines Lieblingsautors in gebundener Ausgabe erhalten, doch die Zeit zum Schmökern findet sich nicht. Und auch in den Genuss des Flachbildfernsehers oder der neuen Spielekonsole kommt man nicht. Der 10-Stunden-Arbeitstag frisst einem sämtliche Mußestunden auf.
Zeit ist nach Ansicht des Oldenburger Ökonomen Niko Paech zur knappsten Ressource des modernen Menschen geworden. Da kann einer noch so viel Geld in neue Konsumartikel stecken – was nützen einem diese Dinge, wenn man gar keine Zeit findet, sie auch lustvoll zu genießen? Und auch die zweite Komponente zum Glücklichsein bleibt bei den meisten auf der Strecke: ein Leben zu führen, das nicht auf Kosten anderer geht, weder auf die Kosten heutiger noch künftiger Generationen. „Ich möchte am Ende meines Lebens sagen können, dass ich mit der Welt im Einklang gelebt habe“, sagt Paech. Aber wer könne das mit Blick auf CO2-Ausstoß, Rohstoffraub und Ölverbrauch noch von sich behaupten?
Mit seiner Postwachstumstheorie plädiert der 52-Jährige für ein Wirtschaftssystem, das auf Wachstum weitgehend verzichtet. „Eine Reduktion ist schon deshalb erforderlich, weil es nicht möglich ist, an einer bestimmten Stelle auf dem Wachstumspfad einfach auf den Stoppknopf zu drücken und dann zu hoffen, dass das Erreichte stabilisiert werden kann“, glaubt der Ökonom. Die bloße Unterbrechung des Wachstumspfads führe sofort zu einem Abschwung. Und das würde in einem System, dessen gesamtes Sozial- und Wirtschaftssystem auf Wachstum gepolt ist, sofort zu Krisen führen. Paech plädiert für eine Versorgung, die weniger Wachstumszwänge mit sich bringt.
Konkret bedeutet das in erster Linie den radikalen Rückbau der globalen industriellen Arbeitsteilung. Heutzutage stehen die Fabriken in Stuttgart still, wenn in Nordjapan ein Tsunami wütet oder vor den Toren Bangkoks die Produktionsstätten unter Wasser stehen – solche Abhängigkeiten kennzeichnen die weltweiten Wertschöpfungsketten inzwischen. Diese langen, umweltschädlichen Transportwege sollte es nach Ansicht von Paech nicht mehr geben. Stattdessen plädiert er für die Stärkung der regionalen und lokalen Ökonomien, die wieder sehr viel stärker auf Selbstversorgung wie Eigenarbeit, Community-Gärten und Tauschringe setzen. Er plädiert für eine Deglobalisierung.
Aber auch ein bestimmter Teil der Ökoszene kriegt sein Fett weg. Der Umweltschutz, der auf die Verbreitung neuer technischer Innovationen setzt, sei „brutal gescheitert“, ist sich Paech sicher und kritisiert vor allem an die Befürworter eines Green New Deals. Am billigsten und klimafreundlichsten sei es, gar nicht Auto zu fahren, so Paech. Der günstigste Flug sei zugleich der ökologischste, nämlich sich gar nicht in ein Flugzeug zu setzen. Und das ökologischste Fleisch sei für ihn, gar kein Fleisch zu essen. Von „Verzicht“ möchte Paech dennoch nicht sprechen, sondern lieber von „Entrümpelung“. Ihm gehe es um den „Abwurf von Wohlstandsbalast“, der das Leben sowieso verstopfe, Geld koste und obendrein die Ökosphäre zerstöre.
2,7 Tonnen CO2 für jeden
Paech plädiert für eine individuelle CO2-Bilanz. Damit die Erderwärmung bis 2050 nicht mehr als 2 Grad beträgt, dürfe jeder der 7 Milliarden Erdbewohner nicht mehr als 2,7 Tonnen CO2-Ausstoß im Jahr verursachen. Der Ausstoß eines Bundesbürgers liegt derzeit aber bei 11 Tonnen. „Wenn wir nicht anfangen, von unserem hohen Ross herunterzukommen, können wir den Afrikanern und Chinesen überhaupt nichts abverlangen.“ Paech nennt es „zynisch“, von anderen zu verlangen, „was wir vor der eigenen Haustür nicht hinbekommen“. FELIX LEE