: Schleimkeim? Ordnungsamt!
JUGENDKULTUR Punk ist unkaputtbar – eine Zeitreise nach und ein Konzert in Berlin
Es war ein Sommer irgendwann in den nuller Jahren, und die Freundin hatte sich gerade die ersten blauen Strähnen ins Haar gefärbt. Ich war neidisch. Wir saßen am Parkplatz vor dem Jugendzentrum und stimmten uns mit Bands aus dem batteriebetriebenen Kassettenrekorder auf den Abend ein. Es liefen die Perlen der deutschen Punkrockgeschichte – Schleimkeim und die Popperklopper.
In diesem Jugendzentrum, in das man sich mit gefälschtem Schülerausweis Eintritt verschaffte, verleibte man sich zusammen mit Schlucken aus der geteilten Sangriaflasche die Energie von etwas ein, das dreißig Jahren zuvor der Londoner Impresario Malcolm McLaren als Punk betitelt hatte. Oder man dachte es zumindest.
Doch die Uhr läuft unaufhaltsam weiter. Wir leben längst in Berlin, und im Kaffee Burger spielt eine Band, deren Musik man als eine Art Punkrock mit deutschen Texten bezeichnen könnte. Punk ist unkaputtbar. Vor der Tür klackern die Absätze, drinnen sitzen die Leute in kleinen Grüppchen an Tischen und warten. Sie nippen an ihren Bieren und Cocktails, richten noch mal ihre Haarsträhnen, bevor die Band Ordnungsamt aus Berlin beginnt. Das Duo präsentiert auf der Bühne sein neues Album, „Mondo Marginalo“.
Sie spielt ein schnelles Schlagzeug, er eine schnörkellose Gitarre. Bluesiger Punk mit abwechselndem Frauen- und Männergesang. Am Bühnenrand stehen Pärchen, Männer haben Arme um Frauen geschlungen, wippen gemütlich zu den Liedern.
Der Gesang von Sängerin Betty Beschuht ist zuckersüß und erinnert an die Tradition der Girlbands aus den 1960er Jahren, der Beat ist rau und eingängig. Sie spielen eine Coverversion von „Dirty Dancing“, dem Teeniefilm aus den 1980er Jahren. Klingt nicht schlecht. Die Leute tanzen.
Ordnungsamt erinnert ein wenig an Bands wie The Shocks oder Ty Segall, die in den letzten Jahren deutlich machten, welches Potenzial in Musik, die sich auf Punk bezieht, immer noch stecken kann. Ganz unprätentiös wird aus einfachen musikalischen Mitteln eine Energie entwickelt, die die Menschen zum Sichmitbewegen animiert.
Anders als früher vergesse ich die Musik auch nach Ende des Konzerts nicht. Die Melodien noch im Kopf, summe ich auf dem Nachhauseweg vor mich hin. Plötzlich das leuchtende Schild eines Spätis. Es wäre mal wieder Zeit für ein paar Gläser Sangria. LISA FORSTER