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Archiv-Artikel

Starr vor Entsetzen

KUNST Die Ausstellung „Vor dem Gesetz“ von Kasper König im Museum Ludwig in Köln lässt Verbindungen zwischen den Skulpturen der Nachkriegszeit und der Kunst der Gegenwart sichtbar werden: Es geht um Anteilnahme, Geschichtspessimismus und Ausschluss

Die Skulpturen der Nachkriegszeit werden sonst oft als stilles und abgeschlossenes Kapitel betrachtet

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Was ist die Zivilisation? Ein Haufen Autoschrott und Natursteinimitate? Hat es sich dafür gelohnt, Wälder zu vernichten und die indianischen Völker Amerikas aus ihrem Lebensraum zu vertreiben? Der amerikanische Künstler Jimmie Durham legt diese Fragen nahe in seiner Installation „Building a Nation“ (von 2006), denn zwischen all die Radkappen, Ölfässer und Baulampen hat er Zitate gehängt von amerikanischen Eisenbahnbaronen, Senatoren, Präsidenten und Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, die alle das Ende der indianischen Kulturen als Opfer für den Fortschritt der Zivilisation legitimieren: „They must either change their mode of life or they must die“ (Senator Pendelton, 1891). Je mehr man liest in dieser Installation, desto dünner wird das Vertrauen in die Menschlichkeit des Menschen.

Mit Jimmie Durhams berührendem Werk beginnt die Ausstellung „Vor dem Gesetz“ im Museum Ludwig in Köln, eine der letzten unter der Leitung von Kasper König. Im November 2012 verlässt er das Haus. In „Vor dem Gesetz“ schlägt er einen programmatischen Bogen von einer politisch aufgeladenen und aufladbaren Gegenwartskunst zurück zu den Skulpturen der Nachkriegszeit, die, noch starr von Entsetzen über den zurückliegenden Krieg und Massenmord, eine zurückgenommene, vorsichtige Sprache entwickelten. Durhams geschichtspessimistischem Porträt einer Nation gegenüber sitzt der „Gefesselte Prometheus II“ (1948) von Gerhard Marcks, schwer auf seine Knie gestützt, nackt und bloß. Der war nicht nur eine Absage an den vorausgegangenen Kult des heroischen Körpers im Faschismus. Sondern er steht auch für das Bemühen der Nachkriegskünstler, einen Kern des Menschlichen noch zu retten.

Es ist verblüffend: So sinnfällig wie bei diesem Auftakt funktioniert die Verbindung zwischen den Positionen zweier Epochen an vielen Punkten der Ausstellung. Die Erfahrung vom Scheitern der Vernunft und der Aufklärung, das Misstrauen gegen den Schutz der Gesetze, die dann doch nicht alle in Anspruch nehmen können, der Ausschluss von der Teilhabe an der Gesellschaft, wie er sich heute an den Grenzen Europas manifestiert (Andreas Siekmann thematisiert das), bilden zunächst die inhaltlichen Verbindungslinien. Darüber hinaus zeigen sich aber auch in der ästhetischen Auseinandersetzung so noch nicht gesehene Entwicklungslinien. Das ist auch deshalb überraschend, weil die Skulpturen von Marcks, Fritz Cremer, Wilhelm Lehmbruck oder Germaine Richier etwa sonst oft als ein vergleichsweise geschlossenes stilles Kapitel betrachtet werden, so sehr mit ihrem Entsetzen, mit ihren Narben, ihrem Verstummen und Reduzieren beschäftigt, dass sie noch in jeder kunstgeschichtlichen Abfolge vom aufgekratzten Lärm der Vorkriegsavantgarden und der späteren Kunst überstimmt werden.

Kasper König, 1943 geboren, selbst ein Kind der Nachkriegszeit, in Trümmerstädten groß geworden, rückt damit eine Kunst in den Vordergrund, mit der man ihn, bekannt als erfolgreichen Vermittler des gerade erst Entstehenden, etwa als Gründer der Skulpturprojekte in Münster oder des Portikus in Frankfurt, bisher eher nicht in Verbindung gebracht hat. Und er zeigt, welche Impulse der Kunst der 40er, 50er Jahre doch in Späteres eingeflossen sind. Deshalb ist die Ausstellung auch eine Hommage an das Museum als Institution, als potenzieller Erinnerungsraum, der neu sortiert die Wahrnehmung neu anstößt.

Empathie mit dem Tier

Zum Beispiel in der Begegnung der französischen Bildhauerin Germaine Richier und des Italieners Marino Marini mit dem Amerikaner Bruce Nauman. Es ist die Empathie mit dem Tier, die bei allen dreien die unmittelbare Ansprache des Betrachters erreicht. In Marino Marinis „Miracolo“ (1953) ragt der Leib eines Pferdes, von dem gerade ein Reiter stürzt, steil in die Luft wie der Bug eines untergehenden Schiffes. Die Skulptur ist aus Bronze, wirkt aber rau und kantig wie aus Beton, alle Details zu stumpfen Flächen verschliffen. In „Le Griffu“ (1952) von Richier geht eine zum Skelett ausgemergelte Figur mit stützenden Streben eine Verbindung ein, halb insektenhaft, halb technoid: Das Verletzliche von Mensch und Tier ist darin ebenso präsent wie eine unerklärliche Kraft des Überlebens. Bevor man zu beiden Skulpturen kommt, passiert man im Museum Ludwig Naumans „Carousel“ (1988), in dem Tierrohlinge, wie sie Taxidermisten benutzen, an einem kreisenden Ring aufgehängt sind. Natürlich denkt man an den Schlachthof, das Töten und das Fellabziehen, das man nicht sehen will, aber auch an all die Tierersatzdarsteller unserer Kultur, vom Kuschelbär bis zum animierten Mammut – ein Strudel von Ambivalenzen.

Der Katalog zu „Vor dem Gesetz“ deckt mit vielen Fotos eine weitere Verbindung zwischen der Nachkriegsskulptur und dem Genre der Installation auf: Auf der ersten Documenta in Kassel, aber auch bei vielen Skulpturen im Raum der zerstörten Städte, erzeugte die Beziehung zum Standort und seiner Geschichte eine entscheidende Ebene der Bedeutung. Ganz anders als die Floskel von der „Stunde null“, die einen Neuanfang auf einer Tabula rasa suggeriert, zeugen diese Fotografien davon, wie die Werke gerade mit dem Wissen um Krieg und Zerstörung bestehen wollten. Der Kontext als Bedeutungsgeber, erst in den Installationen wird daraus ein schon in die Kunst selbst verlagertes Bauprinzip.

In der Ausstellung sieht man zwar keine dieser historischen Fotografien, dafür aber eine Serie von Candida Höfer, die mit der Kamera die Interaktion zwischen Skulptur und Betrachtern reflektiert am Beispiel „Der Bürger von Calais“. Sie hat zwölf Abgüsse dieser klassischen Skulpturengruppe von Auguste Rodin auf öffentlichen Plätzen und in Museen aufgesucht. Im Raum neben ihren Fotografien zieht eine skurrile Figurengruppe, „Bródno People“, die Pawel Althamer analog zu den Bürgern von Calais 2010 mit zwei Freunden aus viel Schrott gebaut hat, auf ein Fenster mit Rheinblick zu. Sie tragen Helme, Schutzanzüge und Masken, wie ein Haufen heruntergekommener Raumfahrer: Das Ende von Science-Fiction im Zivilisationsmüll.

Mit solchen Setzungen macht die Ausstellung Kunst auch als einen Raum sichtbar, in dem gesetzte Positionen neu zur Verhandlung, Umdeutung, Erweiterung anstehen können. Damit legt sich über die erste Ebene der unmittelbaren Ansprache eine zweite, die sichtbar werden lässt, wie dafür immer nach einem neuen Weg gesucht werden muss. Genau das geschieht hier.

■ Im Museum Ludwig in Köln, bis 22. April