: Der heilige Krieg um die Schulen von Berlin
Der geplante Werteunterricht bringt CDU und Kirchen auf die Barrikade, dabei galt für die Stadt schon längst eine Ausnahme. Und viele Berliner sind mit den Plänen einverstanden
BERLIN taz ■ In der Hauptstadt herrscht Glaubenskrieg. Der rot-rote Senat, das steht seit dem Landesparteitag der SPD am vergangenen Wochenende fest, will in den Schulen der Stadt ein verpflichtendes Wertefach für alle Kinder einführen. Und zwar ohne die Möglichkeit, sich abzumelden, um stattdessen Religionsunterricht zu besuchen. Das können die SchülerInnen zusätzlich tun. Kirchen und Christdemokraten reicht das nicht. Sie versuchen, die rot-roten Pläne mit allen Mitteln zu verhindern.
Nach der Vorstellung von SPD und PDS sollen sich künftig alle SchülerInnen der Klassen 7 bis 10, gleich welchen kulturellen oder religiösen Hintergrunds, gemeinsam über Religionen, Werte und Menschenrechte verständigen. Das ist bundesweit einmalig. In einer multikulturellen Stadt wie Berlin sei der gemeinsame Austausch besonders wichtig, lautet die Begründung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD): „Vielfalt ist angesagt und nicht Separation.“ Nach einer Emnid-Umfrage teilen zwei Drittel aller BerlinerInnen diese Einschätzung.
Kirchen und Christdemokraten allerdings gehören nicht dazu. Sie wollen ein Wahlpflichtfach, in dem sich Schüler und Eltern für das staatliche Wertefach oder den kirchlichen Religionsunterricht entscheiden können. Die CDU hat bereits angekündigt, gegen das neue Fach vor dem Landesverfassungsgericht zu klagen. Doch die Chancen für eine solche Klage stehen schlecht.
Denn Berlin nimmt gemeinsam mit Bremen beim Religionsunterricht eine Sonderstellung ein. Nach der so genannten Bremer Klausel im Grundgesetz ist Religion in Berlin – im Unterschied zu den anderen Ländern – kein ordentliches Lehrfach, sondern ein freiwilliges Angebot, das weitgehend in Eigenverantwortung der Religionsgemeinschaften angeboten wird. Das Land hat wenig Einfluss, zahlt aber. 46 Millionen Euro gibt Berlin derzeit jährlich dafür aus. An den Grundschulen nehmen drei Viertel, an den weiterführenden Schulen nehmen nur ein Viertel aller SchülerInnen an den Angeboten der zahlreichen Glaubensgemeinschaften und der Humanistischen Union teil, die Lebenskunde unterrichtet.
Zufrieden ist in Berlin mit dieser Regelung kaum jemand und so wird seit langem über die Einführung eines verpflichtenden Faches diskutiert. Schwung kam in die Debatte, als 1996 das Nachbarland Brandenburg damit begann, schrittweise das Fach Lebensgestaltung/Ethik/Religion, kurz LER genannt, für die Klassen 7 bis 10 einzuführen. Nach einem erbitterten Rechtsstreit zwischen Land und Kirchen ist LER ein Wahlpflichtfach, die Schüler können sich also abmelden, wenn sie Religionsunterricht besuchen wollen. Wichtiger aber noch war vielleicht der juristische Erfolg der Islamischen Föderation. Der Dachverband, der als Tarnorganisation der islamistischen Milli Görüs gilt, erstritt sich im Jahr 2000 das Recht, islamischen Religionsunterricht in Berliner Schulen anzubieten. Heute unterrichten die Lehrer der Föderation an 37 Grundschulen über 4.000 Kinder. Hitzig wurde die Debatte zu Beginn des Jahres, als drei Schüler in einer Neuköllner Hauptschule den Ehrenmord an einer jungen Deutschtürkin gutgeheißen haben. Plötzlich rief alles nach mehr Wertevermittlung an den Schulen.
Geht es nach SPD und PDS soll es das im Schuljahr 2006/2007 geben. Dann will der rot-rote Senat in den Klassen 7 mit dem Fach beginnen. Noch in diesem Monat will SPD-Bildungssenator Klaus Böger eine Kommission zusammenstellen, um einen Lehrplan zu erarbeiten. Ob sich die Kirchen daran beteiligen, ist offen. SABINE AM ORDE