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Archiv-Artikel

Vom Meer und von Fluten

LITERATUR Im Rahmen der Lesereise „LiteraTour Nord“ präsentieren sich mit Gregor Sander und Jens Böttcher in den kommenden Wochen zwei spannende Gegenwartsliteraten

Mit schlichten Sätzen erzählt Sander von Abgründen, Freundschaften, Sehnsüchten

VON JENS LALOIRE

Zehntausende neuer Bücher spülen die Verlage jedes Jahr in die Regale der Buchhandlungen. Da verlieren selbst gut informierte Leser schnell den Überblick – und suchen Orientierungshilfe im Feuilleton oder auf Bestsellerlisten. Wer es aus einer Vielzahl von Gründen nicht in die Auswahl schafft, geht in der Neuerscheinungsflut einfach unter. Und wer nicht zu den schnell Versunkenen gehören will, muss auf sich aufmerksam machen, durch jede Menge Lesungen oder im besten Fall den Gewinn eines renommierten Literaturpreises. Der im Übrigen die angehenden Schriftsteller nicht nur ins Rampenlicht des Buchmarktes rückt, sondern auch eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle liefert.

15.000 Euro etwa lassen sich seit 1992 mit dem Preis der LiteraTour Nord einstreichen, der einmal im Jahr an eine Autorin oder einen Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur vergeben wird. Und die Lesungen bekommt man überdies gleich dazu: Der Preisvergabe voran geht jeweils eine Lesereise durch ganz Norddeutschland, auf der die nominierten Autoren ihre aktuellen Bücher präsentieren. Für den laufenden Wettbewerb haben bereits Inka Parei, Sibylle Lewitscharoff und Sherko Fatah ihre neuesten Publikationen in Oldenburg, Bremen, Lübeck, Rostock, Lüneburg und Hannover vorgestellt. Mit Gregor Sander und Jan Böttcher folgen im Januar und Februar nun noch einmal zwei weitere spannende Stimmen.

Der 1968 in Schwerin geborene Sander geht dabei mit seinem 2011 erschienenen Erzählband „Winterfisch“ auf Lesereise. Auf meist nicht mehr als 20 Seiten entfaltet er in seinen Erzählungen mit schlichten Sätzen Geschichten von Abgründen, Freundschaften und Sehnsüchten. Neben einem leicht melancholischen Grundton ist allen Erzählungen der geografische Schauplatz gemein: die Ostsee. Ob zwei kauzige Fischer am Nord-Ostseekanal, eine Liebesgeschichte in Rostock oder zwei Alkoholiker auf einem Segeltörn – immer wieder taucht das Meer auf, ist mehr als Kulisse, ist Spielpartner und Sehnsuchtsort.

Neben der Ostsee kommt auch der DDR in einigen der literarischen Kurzformen eine zentrale Rolle zu. Mit einer präzisen, nie ausschweifenden Sprache und geschickt verwobenen Zeitebenen erzählt Sander von DDR-Familiengeschichten, den emotionalen Altlasten eines Systems und den Spuren inzwischen eingerissener Grenzzäune. Die neun Erzählungen packen den Leser immer gleich mit dem ersten Satz und machen Lust auf mehr. Einen Preis hat Sander übrigens schon: Für die Titelerzählung „Winterfisch“ wurde er 2009 beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet.

Ebenfalls in Klagenfurt ausgezeichnet wurde der fünf Jahre jüngere Jan Böttcher, zwei Jahre zuvor nämlich mit dem Ernst-Willner-Preis für einen Auszug aus seinem zweiten Roman „Nachglühen“. Auf der LiteraTour Nord wird der Autor und Musiker sein neues Buch „Das Lied vom Tun und Lassen“ vorstellen, einen nachdenklichen Roman über den rasanten Rhythmus unserer Zeit, das Internet und die Musik, die das Leitmotiv des Romans bildet. Böttcher erzählt ähnlich wie Sander in einer klaren, eher schlichten Sprache, die dennoch poetische Bilder zu schaffen vermag. Vor allem aber überzeugt Böttchers Roman durch die drei Geschichten, die sich miteinander verflechten und in versetzten Zeitebenen aus unterschiedlichen Perspektiven von den drei Protagonisten dargestellt werden. Von einem 60-jährigen Musiklehrer, der in seinem Unterricht mit modernen Medien sowie einer alternativen Didaktik arbeitet. Von einer 18-jährigen Schülerin, die durch den Selbstmord einer Mitschülerin vollkommen aus der Bahn geworfen wurde. Und von einem 38-jährigen Musikwissenschaftler, der sich auf eine Affäre mit der Schülerin einlässt. „Das Lied vom Tun und Lassen“ erzählt von der Liebe, der Trauer und der Bedeutung der Musik im Leben dreier Vertreter unterschiedlicher Generationen.

Böttcher setzt mit seinen Lesungen den Schlusspunkt der diesjährigen LiteraTour Nord. Anschließend entscheidet eine Jury, welcher Autor mit dem diesjährigen Preis prämiert. Und damit, wer aus der Flut der Neuerscheinungen hervorgehoben wird.

■ Gregor Sander – „Winterfisch“: Oldenburg: So, 22. 1., 11 Uhr, Wilhelm 13, Wilhelmstraße 13; Bremen: So, 22. 1., 20 Uhr, Literaturcafé Ambiente, Osterdeich 69a; Lübeck: Mo, 23. 1., 20 Uhr, Buddenbrookhaus, Mengstraße 4; Lüneburg: Mi, 23. 1., Heinrich-Heine-Haus, Am Ochsenmarkt 1; Hannover: Do, 26. 1., Literaturhaus, Sophienstraße 2 ■ Jan Böttcher – „Das Lied vom Tun und Lassen“: Oldenburg: So, 12. 2., 11 Uhr, Wilhelm 13, Wilhelmstraße 13; Bremen: So, 12. 2., 20 Uhr, Literaturcafé Ambiente, Osterdeich 69a; Lübeck: Mo, 13. 2., 20 Uhr, Buddenbrookhaus, Mengstraße 4; Lüneburg: Mi, 15. 2., 19.30 Uhr, Heinrich-Heine-Haus, Am Ochsenmarkt 1; Hannover: Do, 16. 2., 19.30 Uhr, Literaturhaus, Sophienstraße 2