„Öko kann super-stylish sein!“

KAUFKULTUR Das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel in Hamburg hat das Kaufen zum Schwerpunkt erkoren. Über schlichte Konsumkritik gehe das Festival aber hinaus, erklärt Kurator Matthias von Hartz

Ökonom und Performer, leitet seit 2007 das Sommerfestival von KampnagelFoto: M. Scholz

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr von Hartz, was ist am Konsum so falsch?

Matthias von Hartz: An sich gar nichts. Uns bewegt aber die Frage: Wie kann man so konsumieren, dass es in Zukunft auch noch andere tun können? Auf der anderen Seite sagen uns dann die Politiker, dass wir mit einem ganz anderen „richtigen“ Einkaufsverhalten die Welt retten können – durch Autokauf; Stichwort Abwrackprämie.

Und Sie wollen das „richtige“ Einkaufsverhalten mit Hilfe einer Modenschau befördern …

Die Mode ist ein gutes Beispiel, anhand dessen man das komplexe globale Produktions-Ausbeutungssystem durchdeklinieren kann. Das fängt damit an, dass durch Baumwollanbau in Afrika riesige Flächen geschädigt werden, die dann über Jahre brach liegen, um sich zu regenerieren – was wiederum die Verarmung der Bauern befördert. Da sind viele Existenzen kaputtgegangen. Wenn man dann schaut, unter welchen Bedingungen die Baumwolle weiterverarbeitet wird – sei es unter sozialen, sei es unter gesundheitlichen Aspekten –, dann bekommt man einen guten Einblick in die systematische Ausbeutung von Umwelt und Menschen.

Aber nicht jeder kann sich korrekte Kleidung leisten.

Doch, inzwischen schon. Das ist eine der erstaunlichen Erkenntnisse bei der Beschäftigung mit ökologischer Mode: Einige Dinge kosten nicht mehr, andere zehn Prozent mehr, andere doppelt so viel wie nicht nachhaltig produzierte Ware. Und was die Zugänglichkeit betrifft: Einige Öko-Labels haben inzwischen eine so starke Marktdurchdringung erreicht, dass es zu Lieferengpässen bei Öko-Baumwolle kam.

Wenn alles so gut läuft, braucht Ihr Festival das ja nur noch abzubilden …

Ich habe natürlich ein bisschen übertrieben; bis zum Idealzustand dauert es schon noch. Ich würde sagen: Unser Festival versucht Dinge sichtbar zu machen und Vorurteile abzubauen. Denn wenn man von „nachhaltiger Kleidung“ oder „Bio-Klamotten“ spricht, denken die meisten immer noch: Das Zeugs schaut komisch aus, stinkt und besteht aus kratziger Wolle! Unsere Modenschau zeigt aber, dass das super-stylishe Klamotten sind.

Also konsumieren, aber andere Waren?

Unser Festival bietet verschiedene Antworten an. Wir haben auch Leute wie Reverend Billy eingeladen, die für einen sofortigen Konsum-Stopp plädieren. Ich glaube schon, dass ein Lebensstil, der Identitätsstiftung über Konsum herstellt, langfristig problematisch ist. Ich bin aber Reformist genug, um zu sagen: Solange die Gesellschaft noch nicht über andere Wege der Identitätsstiftung nachdenkt, können wir ja schon mal anfangen, nachhaltige Waren zu kaufen.

Ähnelt das Motto „Kaufen“ nicht sehr dem depressiven „Klimawandel“-Thema des letzten Sommerfestivals?

Wir sind schon optimistischer geworden und haben statt Endzeit-Depressionsstücke viel Lebensbejahendes im Programm. Wenn der Choreograph Jochen Roller zur Festivaleröffnung sein Stück „No Money, No Love“ versteigert, damit vom Erlös eine neue Produktion finanziert werden kann, geht es um die Frage: Wer kauft von wem die Ideen, wie funktioniert Konsum in der Kunst? Oder nehmen wir die Produktionsstraße von Folke Köbberling und Martin Kaltwasser, die direkt auf die Abwrackprämie antwortet. Da werden Autos zu Fahrrädern, Booten und anderen Dingen umgebaut – und Fragen nach Weiterverarbeitung jenseits von Recycling aufgeworfen. Und die „Geheimagentur“ bietet ein nachhaltiges Reise-Konzept an: Während einer Gala werden einwöchige Nah- und Fernreisen verlost. Der Gag dabei: Die Touristen sollen nicht nur konsumieren, sondern bekommen Aufgaben, die sie an den Orten erledigen müssen.

Heißt das, Reisen darf nicht mehr Flucht sein?

Ja, unter anderem geht es um die Frage: Wer flüchtet wovor? Denn letztlich ist eine Reise eine wunderbare Form der Begegnung von Wirtschaftsflüchtlingen: Der Pakistani flüchtet nach Vietnam und arbeitet dort, um Geld nach Hause zu schicken. Und wir Europäer flüchten nach Vietnam, weil es da so ein schönes, einfaches Leben gibt.

Jarrestraße 20, 13. bis 30. 8 2009, www.kampnagel.de