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Archiv-Artikel

Biegen, ohne zu brechen

DESIGN Philipp Thonet handelt mit Eleganz. Warum stehen gerade Japaner so auf deutsches Bauhaus-Design?

Der S32, ein 1929 von Marcel Breuer entworfener Freischwinger, kostet im Einzelhandel 530 Euro. Ohne Armlehnen

VON ANJA MAIER

Philipp Thonet sitzt zwischen all seinen Stühlen. Die Klassiker sind aufgereiht wie Trophäen, auf Podesten stehen sie, nagelneu, ohne jede Gebrauchsspur. Es sind Möbel, die ikonografisch für das Bauhaus-Design stehen, für seinen Einfluss auf Europas Wohndesign. Liegen von Anton Lorenz sind darunter, der berühmte Stahlrohrschreibtisch von Marcel Breuer, Freischwinger von Ludwig Mies van der Rohe. Es sind Entwürfe aus den zwanziger Jahren, „klassische Avantgarde“, sagt Thonet.

Vollendete Statussymbole

Der 56-Jährige ist nach Berlin gekommen, weil in der großen Bauhaus-Schau im Martin-Gropius-Bau auch gewürdigt wird, was sein Unternehmen seit neunzig Jahren zu diesem Lebensstil beiträgt. Zeitlos elegante Möbel, meist zum Sitzen, die Gestelle aus gebogenem Stahl, die Flächen aus Naturmaterialien: Holz, Korbgeflecht, Leder. Beim Rundgang durch die Ausstellung im Stilwerk, der hauptstädtischen Geschmackszentrale, entdeckt Thonet auf Lorenz-Liege LS22, einem Entwurf von 1931, ein Stäubchen. Entschlossen streicht er es beiseite, seine Möbel sollen hier richtig was hermachen. Das tun sie zweifellos.

Thonet leitet mit seinen Brüdern Claus und Peter in fünfter Generation das Familienunternehmen im hessischen Frankenberg. Thonet-Stühle sind Statussymbole, Designobjekte für jene, die sie sich leisten können. Siebzig Prozent der Aufträge kommen von Unternehmen oder aus dem öffentlichen Dienst, „in Berlin haben wir viele Fraktionsräume im Regierungsviertel ausgestattet“. Private Kunden sind meist „Ärzte, Anwälte, die eine technokratische Einrichtung wünschen“. Ein teures Vergnügen. Der S32 etwa, ein 1929 von Marcel Breuer entworfener Freischwingerstuhl, kostet im Einzelhandel 530 Euro. Ohne Armlehnen. Aber die Anschaffung, meint der Chef, lohne sich, „man kann den zu allem dazustellen, das können alle diese Möbel“.

Die Zusammenarbeit zwischen den Bauhaus-Pionieren und der Firma Thonet aus Hessen begann in den zwanziger Jahren. „Man hat nach neuen Wegen gesucht, zu produzieren“, beschreibt Philipp Thonet diese Phase, „und wir waren der größte Möbeldesigner, den es damals gab.“ Denn das Unternehmen Thonet hatte den Bauhaus-Gedanken, gutes Design industriell zu fertigen, lange vorher umgesetzt. Seit 150 Jahren produzieren die Thonets seriell. Seinerzeit entwickelte der Firmengründer Michael Thonet den so genannten Wiener Kaffeehausstuhl. Die Basis war eine neue Technik, das Biegen von massivem Holz, Bugholz genannt. Die federleichten Stühle mit dem schwarzen Rahmen und der Sitzfläche aus Korbgeflecht bestanden aus nur wenigen Teilen und konnten deshalb auch leicht versandt werden. In einer Kiste von nur einem Kubikmeter wurden 36 zerlegte Stühle inklusive der Schrauben verpackt und in die ganze Welt verschickt. Mitte des 19. Jahrhunderts fanden sich Thonets Stühle in Europa, Asien, Amerika und Afrika.

Fans und Feinde in Asien

Der Sprung ins 20. Jahrhundert gelang durch die Verbindung zwischen Bauhaus und Thonet, Design und Produktion. Im Jahr 1927 entwickelte der Däne Mart Stam für die Stuttgarter Weißenhofsiedlung den ersten Freischwinger, „Hinterbeinloser Kragstuhl“ hieß dieses federleicht wirkende, aber robuste Möbelstück. In Serie hergestellt hat ihn die Firma Thonet. Zum 90. Bauhaus-Jubiläum hat das Unternehmen den S43, wie er heute heißt, in elf neuen Farben aufgelegt. Das wird die Sammler freuen. Thonet, der das internationale Geschäft verantwortet, ahnt, wo die meisten Bestellungen herkommen werden. „Die Japaner“, erzählt er, „lieben Thonet. Die Asiaten lieben überhaupt sehr deutsches Design, deutsche Kultur.“ Das Strenge, Klare der Möbel zieht vor allem Männer an. „Aber da haben wir uns auch schon getäuscht“, erzählt Philipp Thonet, „einen Norman-Foster-Stuhl, den wir für Männer geplant hatten, haben eher die Frauen gemocht.“

In Asien hat Thonet aber nicht nur die größten Fans. Sondern auch die schärfste Konkurrenz. Von dort nämlich kommen die zahllosen Kopien, die in Europa für ein Fünftel des Preises in den Läden stehen. „Unfair“ findet das Philipp Thonet, „der Erfinder leidet und der Hersteller.“

Das Kopieren hätten in den siebziger Jahren die Italiener angefangen, ironischerweise habe das geholfen, Thonet-Produkte bekannter zu machen. Er hat sich die Dinger angeschaut, die Qualität sei „mittel bis ganz schlecht“. Schutzrechte, die die Firma hat, werden auch verteidigt, auf Messen und im Internet wird geschaut: wo gibt’s die Kopien und wer importiert sie.

Die Entscheidung der Kunden, sich das Original zuzulegen, erklärt Philipp Thonet mit einem gewissen Maß an Eigenfürsorge. „Möbel sind ja keine Kleider, die sieht draußen keiner, die stehen zu Hause“, sagt er. Und bei ihm, was steht da? „Den S664 mag ich sehr“, sagt er über den filigranen Schalenstuhl, „der steht bei mir im Esszimmer und ist ständiger Bestand.“ Der Designer Eddie Harlis hat ihn 1954 für Thonet entworfen. Fünfundfünfzig Jahre ist das auch schon wieder her.