Hartz, oft bis zur Verzweifelung

Stürzt Rot-Grün über die Arbeitsmarktreformen? Auf Einladung der taz nrw diskutierten der Grüne Michael Vesper, die Sozialistin Sahra Wagenknecht und der Praktiker Reiner Welz über Hartz & Co.

AUS BIELEFELDANDREAS WYPUTTA

Hartz und kein Ende: Bis auf den letzten Stehplatz gefüllt war der Saal der Bielefelder Bürgerwache am Donnerstag Abend. „Regieren bis der Hartz kommt – stürzt Rot-Grün über die Arbeitsmarktreformen“, hatte die taz nrw gefragt. Und zusammen mit Nordrhein-Westfalens stellvertretendem Ministerpräsidenten Michael Vesper (Grüne), der PDS-Europaabgeordneten Sahra Wagenknecht und Reiner Welz vom Herforder Arbeitslosenzentrum „Maßarbeit“ stritten Leserinnen und Leser heftig über Sinn oder Unsinn der neuen Sozialpolitik von SPD und Grünen.

In der Kritik stand vor allem der Grüne Vesper, der ganz auf Regierungslinie argumentierte: Die „Logik“ der Hartz-Gesetze sei richtig, sie sorgten für eine bessere Qualifizierung und „passgenaue Vermittlung“ der Arbeitssuchenden. Außerdem hätten seit Anfang des Jahres erstmals auch ehemalige Sozialhilfeempfänger einen Rechtsanspruch auf Förderung. Wie seine Partei sei er selbst allerdings „mit vielen Details unzufrieden“, räumte der grüne Multi-Minister für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport ein – und nannte etwa die geringen Zuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose. Die habe allerdings die CDU/CSU über ihre Mehrheit im Bundesrat zu verantworten. Zwar schafften die Hartz-Gesetze keine neuen Arbeitsplätze, so Vesper. In die Arbeitslosigkeit werde aber auch niemand gedrängt: „Die Statistik ist einfach ehrlicher geworden.“

Wagenknecht antwortete auf Einleitung der Moderatorin und taz-Redakteurin Ulrike Winkelmann dagegen mit einer einfachen Analyse. Rot-Grün habe „sich verwechselbar gemacht“ und werde deshalb die Landtagswahl verlieren, die Bundesregierung vertrete vor allem Wirtschaftsinteressen: „Die Arbeitgeber fordern, Kanzler Schröder setzt einen Großteil um und sagt dann, ich habe das Beste herausgeholt.“ Allerdings sei auch der Kurs der Berliner Landesregierung, die mit Beteiligung der PDS Hartz umsetzt, „falsch und unglaubwürdig“, musste Wagenknecht auf Einwurf Vespers einräumen. Der Praktiker Welz warnte vor der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten durch einen neuen Niedriglohnsektor – und mahnte internationale Anstrengungen zur Begrenzung der Kapitalinteressen an: „Die Mittel der nationalen Politik reichen nicht aus.“

Dennoch wirkte vor allem Vesper von der Härte der Kritik gerade aus dem Publikum überrascht. Während ihm Bezieher des nur 345 Euro monatlich betragenden Arbeitslosengelds II mit emotional überschlagender Stimme vorrechneten, was ihnen von Einmalzahlungen für defekte Elektrogeräte bis hin zur Weihnachtspauschale verloren ging, wollte der Minister „nicht die Mücken im Portemonnaie zählen“, sondern über die „Philosophie“ der rot-grünen Sozialpolitik diskutieren. Die verbitterte Antwort: „Ich brauche keine Philosophie, ich lebe in der Realität.“