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Archiv-Artikel

Von der Weltbank in die Westbank

Der scheidende Weltbankpräsident James Wolfensohn wird neuer Sonderbeauftragter der USA für den Nahen Osten

Der scheidende Weltbankpräsident James Wolfensohn bekommt einen neuen Job: Er soll den geplanten Abzug Israels aus dem Gaza-Streifen überwachen und den Wiederaufbau der Region koordinieren. Das gab US-Außenministerin Condoleezza Rice am Donnerstag in Washington bekannt, wenige Tage nachdem Israels Premier Ariel Scharon zu Besuch auf Präsident Bushs texanischem Landsitz weilte. Wolfensohn will seine Arbeit als Sondergesandter nach eigenen Angaben umgehend aufnehmen, auch wenn die offizielle Amtszeit bei der Weltbank erst im Juni endet.

Wolfensohn bezeichnete die Aufgabe, die vorerst bis Ende Dezember befristet ist, als „echtes Privileg“. Es gebe kaum etwas Wichtigeres für den weltweiten Frieden, als den Nahost-Konflikt zu lösen, sagte er. UN-Generalsekretär Kofi Annan lobte die Ernennung des 71-Jährigen: Er verbinde „in einzigartiger Weise Vision und Erfahrung“.

Die Weltbank hatte, seit Scharon im Dezember 2003 den Abzugsplan verkündet hatte, eine führende Rolle bei der Mobilisierung von Finanzhilfen für die Palästinenser übernommen.

Wolfensohns Mission wird aus zwei Teilen bestehen. Er soll Israel und den Palästinensern helfen, die nichtmilitärischen Fragen des Abzugs zu klären. Anschließend soll er sich um die Wiederbelebung der palästinensischen Wirtschaft im Gaza-Streifen kümmern, vor allem Finanzierungsmöglichkeiten ausloten. Wolfensohns Ernennung, so Rice, sei vom gesamten Nahost-Quartett abgesegnet worden, zu dem die USA, die EU, die UNO und Russland gehören.

Das Weiße Haus reagiert mit dem Schritt offenbar auf wachsende Kritik an mangelndem Engagement Bushs für den Friedensprozess im Nahen Osten. Wolfensohn soll insbesondere sicherstellen, dass die Infrastruktur, die Israel hinterlässt, nicht zerstört, sondern für die wirtschaftliche Entwicklung Palästinas genutzt wird.

Viele Fachleute sehen in Wolfensohn eine ideale Besetzung für den Posten. Nicht nur seine Expertise als Investmentbanker und Initiator einer umfangreichen Nahosthilfe in der Weltbank lassen ihn qualifiziert erscheinen – ihm gelang auch eine andere fast unmögliche Aufgabe: das Negativ-Image der Weltbank vor allem in Entwicklungsländern und Nichtregierungsorganisationen zu korrigieren.

Dennoch kam die Entscheidung überraschend. Wolfensohn räumte selbst ein, die vergangenen fünf Jahre oft im Streit mit der Bush-Regierung gelegen zu haben, und immerhin war es Washington, das eine weitere Amtszeit Wolfensohns an der Spitze der Weltbank verhinderte.

Aus diplomatischen Kreisen verlautete, dass die Idee, Wolfensohn zu ernennen, zwischen Europäern und Nahost-Abgesandten bereits länger diskutiert wurde, das Weiße Haus sich jedoch quer legte. Nun wird spekuliert, ob Wolfensohns Ernennung womöglich auch Teil des Geschäftes mit den über die Nominierung Paul Wolfowitz’ zum neuen Weltbankchef irritierten Europäern war. MICHAEL STRECK