: Anklage: Versuchter Mord
Über vier Jahre dauerte es, bis zwei Brandanschläge im Süden von Berlin vor Gericht verhandelt werden. Heute beginnt gegen zwei der mutmaßlichen Täter der Prozess beim Landgericht Potsdam
VON HEIKE KLEFFNER
„Versuchten Mord“ an jungen Linken wirft die Staatsanwaltschaft Potsdam dem 22-jährigen Neonazi Sebastian D. aus Berlin und der gleichaltrigen Jeannine P. aus Königs Wusterhausen vor. Jeannine P. muss sich ab heute vor dem Potsdamer Landgericht darüber hinaus für einen Brandanschlag auf ein Wohnwagen-Lager einer Gruppe französischer Roma Ende Juli 2001 bei Wildau (Kreis Königs Wusterhausen) verantworten. Experten werfen den Ermittlungsbehörden vor, die Brandanschläge seien unter den Augen der Polizei verübt worden, die den Angeklagten Sebastian D. und einen größeren Kreis von militanten Neonazis aus Königs Wusterhausen und Berlin intensiv observiert hatte.
Bei dem Prozess geht es um zwei Brandanschläge in der Umgebung der brandenburgischen Kleinstadt Königs Wusterhausen, vor vier Jahren für Aufsehen sorgten. Gemeinsam mit zwei weiteren Aktivisten aus der örtlichen Neonaziszene soll Sebastian D. in den frühen Morgenstunden des 14. Juli 2001 Molotowcocktails auf die Bühne des antirassistischen Jugendfestivals „Le monde est à nous“ geworfen haben. Dort hielten sich zum Zeitpunkt des Angriffs mehrere junge Erwachsene auf, die die Bühne vor befürchteten rechten Anschlägen schützen wollten. Durch den Brandanschlag sei der Tod des Bühnenschutzes billigend in Kauf genommen worden, so die Anklage. Während das Neonazi-Trio um Sebastian D. die Molotowcocktails geworfen haben soll, habe Jeannine D. im Fluchtauto gesessen. Sie soll ihre „Kameraden“ vom Treffpunkt zur Festwiese gefahren und sie anschließend auch wieder in Sicherheit gebracht haben.
Auch beim Anschlag im nahen Wildau, bei dem zwei Wochen später die Brandsätze nur durch Zufall den Wohnwagen einer schlafenden fünfköpfigen Roma-Familie verfehlten, soll Jeannine D. das Fluchtauto für zwei Neonazis gefahren haben.
Warum die Mittäter von Sebastian D. und Jeannine P. heute nicht ebenfalls auf der Anklagebank sitzen, möchte man bei den Potsdamer Justizbehörden nicht sagen. „Die Ermittlungen gestalten sich kompliziert“, lautet die ausweichende Antwort. Unbeantwortet bleibt auch, warum zwischen den Geständnissen von Sebastian D. und Jeannine P. und einer Anklageerhebung über zwei Jahre vergingen.
Petra Rosenberg, Vorsitzende des Landesverbandes deutscher Sinti und Roma in Berlin und Brandenburg, sagt, dadurch sei ein „Freibrief für weitere rechte Gewalttaten“ ausgestellt worden. Tatsächlich griff Sebastian D. im August 2003 einen vietnamesischen Mann am Berliner U-Bahnhof Weberwiese brutal an und schlug ihm u. a. mit einer Flasche auf den Kopf – deswegen wurde er bereits verurteilt. Derzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den 22-Jährigen auch wegen Verbreitung verfassungswidriger Kennzeichen.
In Anlehnung an das Konzept des internationalen neonazistischen Terrorlabels „Combat18“ verfolgen Rechtsextremisten aus Berlin und Königs Wusterhausen seit Ende der 1990er-Jahre militante Aktionsansätze inklusive Rohrbombenbau, Waffenkäufe und Brandanschläge. Einige aus dieser explosiven Mischung von bekennenden Neonazis, V-Männern wie Carsten Szczepanski alias „Piato“ und Informanten der Sicherheitsbehörden liefen ihren Überwachern offenbar immer mal wieder aus dem Ruder – etwa der in London geborene Paul Stuart B., der in Berlin lebt und seit Jahren zum harten Kern der Neonaziszene gezählt wird.
Der 35-Jährige hatte u. a. im Juni 2002 im Internet unter der einschlägigen Webadresse www.SS88.de Fotos von Berliner Polizisten mit der drohenden Überschrift „die Kugel ist für dich“ veröffentlicht. Wenig später wurde wegen eines Angriffs auf einen linken Jugendlichen am Bahnhof Potsdam gegen ihn ermittelt. Ebenfalls mit dabei: Der 24-jährige Jan P., gegen den die Staatsanwaltschaft Berlin auch im Zusammenhang mit dem zweiten Sprengstoffanschlag auf das Grab von Heinz Galinski, dem verstorbenen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde von Berlin, ermittelte.
Petra Rosenberg hofft, dass mit dem Prozessbeginn auch ein Signal gesetzt wird, „rechte Gewalt konsequent zu ahnden.“