: Reif für den Abdecker
Mönchengladbachs Fohlen nähern sich nach dem 1:1 gegen Mainz 05 dem Abstieg. Und alle hauen auf Trainer Dick Advocaat ein, den ungeliebten „Dicktator“ ohne Kommunikationsfortune
AUS GLADBACH BERND MÜLLENDER
Mit dem Schlusspfiff in der Nachspielzeit noch den Ausgleich zu kassieren ist natürlich tragisch. Erst recht, wenn das exakt Gleiche vor 14 Tagen (gegen Bochum) schon einmal passiert war. Tausende Gladbach-Freunde warfen wie auf Kommando die Hände vors Gesicht, starrten dann noch eine Weile in die Tiefen des mächtigen Borussen-Parks und wandten sich wortlos den Ausgängen zu. Noch frustrierender war das Spiel der Borussia gewesen: ängstlich, verkrampft, ohne einen einzigen gelungenen Konter, selbst nach der glücklichen Führung gegen Mainz. Die Fohlen wirkten wie alte Ackergäule, reif für den Abdecker. Endgültig droht der Abstieg.
Und Dick Advocaat, der Borussen-Trainer ohne Kommunikationsfortune, den niemand liebt und kaum wer noch toleriert, ließ erneut staunen: Der „kleine General“ gab zwar „das schlechte Spiel von uns“ zu, erklärte die Mainzer Spielweise aber als „sehr opportunistisch“, denn sie hätten „immer nur lange Bälle nach vorn“ gespielt. Jürgen Klopp, der Mainzer Coach, legte die Stirn in Falten und guckte Advocaat ungläubig an. Denn Mainz hatte seine Fans eher mit elegantem, aber ineffizientem Kurzpassspiel genervt und einem halben Dutzend vergebener Bestchancen. Kapitän Dimo Wache entschuldigte die exklusive Sichtweise („völliger Blödsinn“) als Problem der Perspektive: „Der Rasen hier ist ja ziemlich hoch. Und Advocaat ist nicht sehr groß …“
Es spotten also schon die Gegner. Ob er Rücktrittsgedanken habe, wurde Advocaat nach der unverschämt niveaufreien Darbietung seiner Elf gefragt: „Ich werde mit dem Vorstand darüber sprechen.“ Der gab am Abend nach einer Krisensitzung grünes Licht: „Wir machen weiter. Wir packen das.“
Seit Advocaat im Dezember für Holger Fach kam, hat er, in enger Kooperation mit dem notorisch glücklosen Manager Christian Hochstätter, so ziemlich alles falsch gemacht. Hollands Ex-Bondscoach gilt als Stimmungstöter und unnahbarer Feldherr, hart und kühler als ein Wintersturm auf Texel. Er sagt: „Ich bin nicht wirklich tolerant, aber ehrlich.“ Er schottet sein Team beim Training vor Zuschauern ab. Und sich vor seinen Kickern: „Ich suche die Nähe von Spielern nicht. Es gibt keinen Grund, mit ihnen zu diskutieren.“ Dabei sei Advocaat ganz anders, sagt Hochstätter, sogar „ein sehr humorvoller Mensch“. Borussia hat fast ein halbes Jahr versäumt, das zu belegen.
Sieben neue Spieler hat Advocaat im Winter heranschaffen lassen. Die Devise: langfristige Planung. Die Folge: Der Kader war zeitweilig aufgebläht auf 62 Füße, wodurch altgediente Kräfte Arbeitsplatz, Lust und Motivation verloren haben. Erfolge blieben aus. Identifikation klappt nicht. Borussias Versuch, sich während einer Saison mit neuem Personal anderweitiger Ersatzbänke langfristig auf die nächste Spielzeit vorzubereiten und eine bessere Zukunft einzuläuten, hat nur zu Frust geführt.
„Wir haben die Schnauze voll“ ist längst Spitzenreiter der Borussen-Fancharts. Vermutlich hätten die Clubfreunde statt des „drögen Dick“ (Express) lieber den Leibhaftigen als Trainer oder sogar eigenes Altinventar wie Berti Vogts oder Lothar Matthäus, der sich aus Ungarn schon mit „Ich habe Angst um die Borussia“ wichtig tut.
Schlechte Stimmung ist Dünger für die Bild-Zeitung. „Dicktator“ nennt das Billigblatt den Übungsleiter und zitierte jüngst einen Borussen-Kicker: „Wir sind sicher: Der Trainer provoziert seinen Rauswurf und fährt dann das Geld mit der Schubkarre nach Holland.“ Advocaat und Assistent Pim Verbeek würden im Kader „nur noch Dick und Doof“ genannt.
Der bockige Manager Hochstätter spricht von der „Größe eines Trainers“, der einen Spieler erst zum Teufel jagt, um ihn dann wieder zu begnadigen. Auch Publikumsliebling Thomas Broich hatte Advocaat zuletzt als systemfremd aussortiert. Vor dem Spiel gab es Wechselgerüchte ausgerechnet zur Klopp-Elf, was der selbstgerechte Hochstätter eine „Stinkbombe aus Mainz“ nannte. Überraschend spielte Broich sogar. Er tat es, als wolle er Mainz den Klassenerhalt sichern.
Peer Kluge hatte als Erklärung fürs Versagen „keine Erklärung mehr“, Marcell Jansen nahm den Ausgleich von Michael Thurk „als einen Niederschlag“. Oliver Neuville stöhnt: „Bei uns ist immer Hektik.“ Auch bei ihm: Seit fast einem halben Jahr schießt er immer hektischer aufs Tor, ohne Erfolg. Am Samstag traf Neuville erstmals nach fast 24 gespielten Stunden. In Gladbach wird eben sehr langfristig gerechnet.
Borussia Mönchengladbach: Keller - Fukal, Strasser, van Kerckhoven, Jansen - Kluge, Broich, Böhme (46. Gaems) - Sonck (46. Ulich), Sverkos, Neuville (82. van Hout)Mainz 05: Wetklo - Abel, Friedrich, Noveski, Weigelt (89. Jovanovic) - Gerber (79. Auer), Babatz (84. Kramny), da Silva - Niclas Weiland, Thurk - CaseyZuschauer: 53.466; Tore: 1:0 Neuville (51.), 1:1 Thurk (90./+1)