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Archiv-Artikel

Die fette Brotfiesta

HipHop im Kulturvergleich: Am Wochenende spielten Fettes Brot und die Orishas in Berlin vor ihren jeweiligen Fangemeinden – und zeigten sich einem animierten Publikum von ihren besten Seiten

VON DANIEL BAX

„Du bist nicht Che Guevara /

Berlin ist nicht Havanna / und

der Ku’damm nicht der Malecón“

(Fettes Brot: „Kuba“)

Der Weg zum Konzert gleicht dem Weg zu einer Abiturfeier. Der Duft vom Rasierwasser der Jungs in frisch gewaschenen Polo-Hemden und die aufgekratzten Stimmen der Mädchencliquen vor der Halle: Fehlte nur noch ein Golf mit der Aufschrift „Abi 2005“, und das Bild wäre komplett. Dafür lässt die Menge, als das Konzert beginnt, standesgemäß mehrere Dutzend leere Bierflaschen am Eingang zurück.

Dank „Emanuela“, ihrem aktuellen Chart-Hit, mussten sich Fettes Brot keine Sorgen machen, ob ihr Konzert am Freitag Abend in der Berliner Columbiahalle ausverkauft sein würde: Es war. Und mit der Party-Hymne „Wie immer“, deren Titel sich auf „heiße Frauenzimmer“ reimt und mit der ihr aktuelles Album beginnt, starteten sie auch in ihr Konzert: zunächst nur schemenhaft als Silhouetten hinter einem Vorhang zu sehen. Das war es dann mit den Effekten. Denn bei Fettes Brot paart sich die Professionalität einer Band, die schon gute zehn Jahre im Geschäft ist, mit der ungebrochenen Anmutung einer Schülerband.

Dieser Purismus mag Teil ihres Erfolgsgeheimnisses sein. Auch pflegen Fettes Brot den Kontakt zur Basis: Auf ihrem neuen, dritten Album „Am Wasser gebaut“ widmen sie ihrer Schulliebe „Yasmin“ eine anrührende Ballade und bleiben damit anschlussfähig an die Schulhöfe der Republik. Als sie von der Bühne aus fragen, wie viele ihrer Besucher zum ersten Mal auf einem Konzert sind, da strecken sich eine Menge Hände. Man sieht Eltern ihren Nachwuchs auf den Schultern tragen – für Fettes-Brot-Fans der zweiten Generation ist also gesorgt. Die netten Brote Boris, Björn und Martin sind eben familientauglich: Statt Alcopops wird bei ihren Konzerten vorwiegend Bier konsumiert, die Stimmung ist friedlich, hier und da wird ein wenig gekifft.

Sie wären aber sicher nicht so erfolgreich, wenn nicht noch ein ausgewiesenes Gespür für den richtigen Hook dazukäme. Die Auswahl der Samples und Zitate kann zwar nicht verbergen, dass ihre maßgeblichen Einflüsse weniger vom HipHop herrühren als von allzu vielen Schulpartys: Da werden Kool & The Gang und „I will Survive“ zitiert, da wird „The Joker“ der Steve Miller Band ins Norddeutsche umgedichtet oder die Beach Boys zu „I wish we all could be Schleswig-Holstein Girls“. Vielleicht wären Fettes Brot manchmal sogar lieber eine Rockband: Als „Special Guest“ angekündigt, springt ihnen einmal ein Gitarrist zur Seite; später greifen sie selbst in die Saiten, um eine Rio-Reiser-Ballade zum Besten zu geben. Aber die Identifikation des Publikums findet ohnehin letztlich über die Texte statt: Nicht nur bei den großen Hits wie „Nordish by Nature“ sind alle auf den Beinen und schwenken ihre Arme im Takt.

Bisher schienen Fettes Brot mit Hits wie „Jein“ und „Schwule Mädchen“ durch betont zur Schau getragene Ambivalenz in den Texten stets einen Schritt zurück zu machen, wo sie musikalisch zwei nach vorne gingen. Doch „Emanuela“ hat nun das Zeug zur Konsenshymne der Saison und dürfte Fettes Brot den Weg in ganz andere Hörerschichten und Altersklassen ebnen.

Am nächsten Abend, beim Konzert der Orishas, lag das Durchschnittsalter dann doch etwas höher. Der Berliner Postbahnhof war bis auf den letzten Platz gefüllt, und das vermehrte Aufkommen von weißen Kängol-Käppis und dunklen Sonnenbrillen kündete vom festen Willen des Publikums, tropischen Stil zu beweisen. Seit vor fünf Jahren ihr Debütalbum „A lo Cubano“ erschien, haben sich die Orishas als erfolgreichste Rap-Gruppe der Karibik etabliert. Der Sänger Roldàn und die beiden Rapper Ruzzo und Yotuel waren zwar nicht die ersten, die Salsa und kubanischen Son mit HipHop verbunden haben, aber sie machen es einfach am besten: Das haben sie auf nunmehr drei Alben unter Beweis gestellt.

In Berlin präsentierten sie sich als ausdauernde Tänzer und professionelle Abendunterhalter: der Sänger Roldán im Hemd mit auffallendem Salamandermuster, die beiden Rapper im schlichten T-Shirt. Nur die Kommunikation mit dem Publikum kam, mangels Sprachkenntnissen im Saal, über euphorische „Orishas“-Rufe kaum hinaus.

Anfangs waren die drei Kubaner, die der Karriere wegen nach Europa übersiedelten, misstrauisch beäugt worden: Zu viel kommerzielles Kalkül sprach aus ihrer HipHop-Version des Buena-Vista-Hits „Chan Chan“, um sie nicht als gecastetes Studio-Projekt im Verdacht zu haben. Ob es das clevere Konzept eines Produzenten oder die originäre Idee der drei Musiker war, ist heute egal: In ihrer alten Heimat Kuba werden die Orishas inzwischen wie Volkshelden verehrt und sind dort mehrfach aufgetreten. Auch Berlin animierten sie mühelos zur Fiesta. Berlin mag zwar nicht Havanna sein. Doch an diesem Abend ist der Unterschied nicht mehr zu bemerken.