Ganz von dieser Welt

VON PHILIPP GESSLER

Man kann es sich einfach machen und auf Jesus verweisen. Der sagte vor Roms brutalem Statthalter Pontius Pilatus: „Mein Königreich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes, 18,36). Das Reich des, nach eigenen Angaben, Stellvertreters Christi auf Erden, ist deshalb etwas theologisch Zweifelhaftes. Aber natürlich hat der Papst Macht, auch weltliche Macht.

Stalins oft zitierte spöttische Frage „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ führt in die Irre: Nur 110 Waffenträger, die Schweizergarde, kann der Papst befehligen. Es ist lediglich eine Leibwache, mittlerweile ausgerüstet mit etwas mehr als einer Hellebarde. Direkte weltliche Macht hat der Papst seit 1870 nur noch über seinen winzigen Vatikanstaat. Damals bereiteten italienische Truppen mit nur wenigen Schüssen dem über 1.000 Jahre alten Kirchenstaat ein Ende. Im Vatikan leben etwa 400 Bürgerinnen und Bürger, besser gesagt: Untertanen. Über sie hat der Papst als absoluter Monarch Macht.

Radio Vaticana weltweit

Die eigentliche Macht des Papstes aber liegt in seiner geistigen Macht über Menschen: Etwa 1,1 Milliarden Katholiken gibt es weltweit, 17 Prozent der Weltbevölkerung. Ihm zu besonderem Gehorsam verpflichtet sind zudem 4.500 Bischöfe, 400.000 Bistums- und Ordenspriester und 750.000 Ordensfrauen in aller Welt. Das ist Macht, zumal das Reich des Papstes streng absolutistisch und gut organisiert ist: schön von oben nach unten in 2.800 Bistümer und 200.000 Pfarreien.

Hinzu kommen mehr als 100.000 Sozialeinrichtungen, etwa Waisenhäuser und Altenheime, zehntausende Schulen und Universitäten, hunderte Zeitungen und Radiostationen. Und zwar fast überall auf der Welt – Radio Vaticana sendet in 35 Sprachen. Außerdem gibt es Dutzende katholische Laienorganisationen, geistliche Bewegungen und Sondergruppen: eher harmlose wie die friedensbewegte Organisation Sant Egidio, die sich gegen die Todesstrafe einsetzt, aber auch üble wie das reaktionäre Opus Dei. Zu Letzterem, einer Quasi-Geheimorganisation, die direkt dem Papst unterstellt ist, soll etwa die Hälfte des faschistischen Franco-Kabinetts gehört haben. In dieser Fülle an Organisationen liegt die eigentliche Macht des Papstes. Es ist eine geistige Macht, die weltlich wirken kann.

Und die wirtschaftliche Macht – die Kirche ist doch reich, oder? Wie man es nimmt. Denn von seinem Reichtum, etwa der Pracht in den vatikanischen Museen, kann der Papst nur wenig flüssig machen (siehe Seite 4). Aber: Der Vatikan muss die steuerfreien (!) Profite seiner Bank niemandem offen legen. Es ist also Geld da für verdeckte Aktionen, eine schwarze Kasse, wenn man will. Aber kann man mit diesen, etwa im Vergleich zur Volkswagen-Stiftung, eher bescheidenen Mitteln so viel bewegen?

Immerhin: Geld des Vatikans aus diesen schwarzen Kassen half der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność Anfang der Achtzigerjahre. Es wurde verteilt über die etwa 8.000 Pfarreien in Polen, heißes Material wurde im Diplomatengepäck der Kurie transportiert. Damals und dort hatte der Papst Macht, immense sogar. „Zum ersten Mal im 20. Jahrhundert wurde ein Papst über Jahre zum entscheidenden Faktor in der Innenpolitik eines Landes außerhalb von Italien“, schreibt der Vatikanexperte Ludwig Ring-Eifel, der ein lesenswertes Buch über die Macht der Päpste geschrieben hat. Ohne den Beitrag Johannes Pauls II. beim Zusammenbruch des Sozialismus in Mittel- und Osteuropa zu mystifizieren – eine wichtige, mächtige Gestalt war er damals. Selbst so unterschiedliche Gestalten wie Michail Gorbatschow und der Historiker Timothy Garton Ash betonen dies. Zu Recht.

„Der Mann, der zu Ihnen spricht, ist ein Mensch wie Sie“, erklärte Paul VI. 1965 in einer Rede vor der UNO-Vollversammlung. „Er ist Ihr Bruder und sogar einer der kleinsten unter Ihnen“, sagte der Papst, „denn er ist nur mit einer winzigen weltlichen Souveränität ausgestattet – gerade so viel, wie er zur Ausübung seines geistlichen Auftrags benötigt.“ Das war schon damals stark untertrieben, und bis zum heutigen Tage hat die Macht des Papstes noch zugenommen. Die aber hängt entscheidend von der Zahl der Katholiken in den jeweiligen Ländern ab. Sie reicht von 0,1 Prozent in der Mongolei bis zu 97 Prozent in Italien (siehe Karte).

Kein Wunder, dass der Papst die vielleicht größte Macht auf dem Kontinent hat, wo mit 454 Millionen etwa die Hälfte aller Katholiken weltweit leben: in Lateinamerika. Die katholische Kirche mischt sich massiv in die Innenpolitik der dortigen Länder ein, unterstützt Präsidentschaftskandidaten, äußert sich zu sozialen und wirtschaftlichen Fragen, vermittelt bei Staatskrisen, ohne dass sich dort jemand darüber wundert. Während in den 70ern und 80ern manche Kardinäle sich regelrecht den dortigen Diktatoren andienten, sind sie heute eher auf der Seite der Armen zu finden.

Der Papst und seine Kirche intervenieren immer wieder massiv in der Innenpolitik katholisch geprägter Länder. Etwa um liberale Abtreibungsregelungen zu verhindern – aber selbst in Polen konnten sie solche Gesetze nicht verhindern, auch in Italien nicht. Im Konflikt um die Beagle-Kanal-Zone zwischen Chile und Argentinien (1978–1984) vermittelte der Vatikan erfolgreich und erreichte ein Friedensabkommen – doch solche Beispiele sind selten. In der EU-Verfassung konnte die Kirche für sich Sonderrechte in den Einzelstaaten, etwa den „Tendenzschutz“ bei Einstellungen, sichern. Einen Bezug zum christlichen Erbe in der Präambel der Verfassung zu verankern glückte ihr nicht.

Kein Segen für den Krieg

Vor dem Irakkrieg pilgerten Tony Blair, Silvio Berlusconi und José María Aznar in den Vatikan, um den päpstlichen Segen für den Einsatz ihrer Länder im Krieg zu erhalten. Der Papst verweigerte dies, verurteilte vielmehr den Krieg mehrmals öffentlich und überdeutlich. Es hat nichts genützt, selbst die Polen zogen mit in den Krieg.

Bei der Bevölkerungskonferenz der UNO 1994 in Kairo machte der Vatikan gemeinsam mit islamischen und Ländern der Dritten Welt Druck, nur natürliche Mittel der Geburtenkontrolle zu empfehlen. Als großen Erfolg sah der Vatikan den Resolutions-Satz an: „In keinem Fall darf Abtreibung als ein Mittel der Familienplanung gefördert werden.“ Dabei hatte der Vatikan für seine Ziele auf dieser Konferenz eine politische Kampagne angesetzt wie nie zuvor in seiner Geschichte.

Der langjährige vatikanische „Außenminister“ Agostino Casaroli hat einmal gesagt, der Vatikan sei „ein unbedeutender Sockel, auf welchem allerdings eine unabhängige und souveräne Macht sitzt, die ihre Flügel ausbreitet, um die ganze Welt abzudecken. Sie wird respektiert und geschätzt oder aber verdächtigt und bekämpft, aber sie ist imposant durch ihre Größe, ihre Geschichte und ihren Einfluss.“ Es ist nicht einfach mit der Macht der Kirche – aber ihr Königreich ist ja auch nicht ganz von dieser Welt.