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Archiv-Artikel

Grillen, boulen, Santana

SCHNELLE KUGELN Boule ist ein Sport, der sich den Gegebenheiten anpasst. Ein fauler Sport und einer mit Kippe im Mund. Er macht am meisten Spaß, wenn nebenan ein Konzert stattfindet

Boccia, Bowls und Pétanque

Boule Lyonnaise ist die Wettkampfform des französischen Kugelspiels, aus der die Freizeitvariante Pétanque hervorging.

■ Boule ist mit seinen Unterarten das beliebteste Kugelspiel dieser Art.

■ Der Deutsche Pétanque Verband schätzt, dass eine Million Freizeitspieler in Deutschland aktiv sind. Gestern endete die erste Boule Europameisterschaft in Nizza. Deutschland belegte Platz neun, Europameister wurde Frankreich.

■ Das italienische Boccia wurde durch Urlaubsaufnahmen von Bundeskanzler Konrad Adenauer in Deutschland populär.

■ Boccia wird auf perfekt nivellierten Boden gespielt, wobei die Lage der Kugeln auf dem Feld markiert wird.

■ Das britische Bowls hingegen wird auf kurzen englischen Rasen gespielt. Die Bowls sind allerdings leicht abgeflachte Kugeln.

VON ROGER REPPLINGER

Es ist kurz nach sieben und Carlos Santana ist gut drauf. Wenn man von der Saarlandstraße kommt und beim Hockey- und Rugbyclub (HRC) reingeht – keiner von den Hummer-Tennisklubs – zwischen zwei Tennisplätzen durch und gleich rechts rum, dann muss man aufpassen, denn ehe man sich versieht, latscht man über die Boulebahn. Die Jungs und ihr Sport sind entspannt, aber wenn sie eine gegnerische Kugel wegschießen, kommt Tempo in die Sache.

Die Boulebahn, Boulodrome genannt, unterscheidet sich nicht von den Wegen, wie es sie im Stadtpark viele gibt: Schwarze Erde, Grasbüschel, Glas- und Porzellanscherben, Kronkorken, kleine Äste, Steine. Boule ist ein Sport, der sich den Gegebenheiten anpasst. Der Italiener, leicht schmerbäuchig, der es am Strand mit Plastikkugeln spielt, nennt es Boccia. Im Stadtpark wird „Boule Lyonnaise“ gespielt und es gibt keine Plastikkugeln, sondern die aus Metall, die so etwa 1.000 Gramm wiegen.

Wegen Santana scheint heute Abend doch noch die Sonne. Bei Regen und im Winter wird in Langenhorn in der Halle gespielt. Dort ist die einzige Boulehalle in Deutschland, die beheizt ist. Der Grill der Boulespieler lässt die Luft flimmern. Ein älteres Ehepaar hat es sich unter den Bäumen bequem gemacht. Er entkorkt ein Fläschchen Weißen, sie packt den Salat aus. Weiter unten schwofen zwei Frauen, die nicht erst seit gestern Santana hören. Shake your hips baby, shake them. Alex spielt erst seine Kugel und dann die Luftgitarre.

Das Schweinchen, französisch Cochonnet, ist schön farbig. Wer näher am Schwein dran ist, gewinnt. Ein Spiel, Aufnahme genannt, fängt damit an, dass ein Mitglied der Siegermannschaft der vorhergehenden Aufnahme das Schweinchen wirft und dann die erste Kugel. Dann wirft ein Mitglied der gegnerischen Mannschaft und dann immer einer der Mannschaft, die weiter vom Schweinchen weg ist. Jeder hat drei Kugeln, und der Spieler ist zart zu ihnen.

Die Kugeln werden mit einem Lappen gereinigt, bis sie glänzen, sie werden in der Hand gedreht, gerollt, gewärmt, zugedeckt, schlafen gelegt, angehaucht, sie dürfen ein bisschen hüpfen, bevor sie fliegen. Boule ist ein alter Sport: Bereits 460 vor Christus empfehlen griechische Ärzte, unter ihnen Hippokrates, das Spiel – damals noch mit Steinkugeln. Für das zweite Jahrhundert nach Christus beschreibt Iulius Pollux ein Spiel, bei dem Kugeln auf einen Ziegelstein geworfen wurden; der Verlierer musste den Sieger auf den Schultern tragen. Als die Olympischen Spiele 1900 in Paris waren, wäre Boule beinahe olympisch geworden.

Klausi ist Schwabe und heißt so, um ihn von Klaus, der auch spielt, zu unterscheiden. Klausi hat ein schönes Hemd an, Alex ist in seiner Mannschaft und schießt wieder eine gut platzierte gegnerische Kugel weg. „Geiler Schuss“, lobt Klausi, klatscht Alex ab. Luftgitarre.

Immer, wenn ein gutes Konzert im Stadtpark ist, etwa James Brown und Nina Hagen, werden zusätzliche Trainingseinheiten zu den festen am Dienstag einberufen. Als die Herren des „Buena Vista Social Club“ über die Stadtparkbühne tobten, da war der Rasen des Rugbyfeldes voller Teppiche, auf denen die Zuhörer lagen. Gute Konzerte sind gut fürs Spiel: Man kann ja nicht oft genug trainieren. „Boule ist trainingsintensiv“, sagt Wolfgang, der seine Kugeln jeden Tag rausholt. Und es geht auch im Alter.

„Was ist denn los Helmut?“, fragt Klausi besorgt. Helmut hat schon wieder verschossen. Die Zuschauer haben es gut. Sehen Boule, hören Santana, essen, stricken, singen mit. Santana spielt „Abraxas“ rauf und runter: „Samba Pa Ti“, „Oye Como Va“ und „Black Magic Woman“. Boule ist eine der wenigen Sportarten mit Kippe im Mund.

Heute sind viele Deutsche da, weil die Franzosen in Frankreich im Urlaub sind. Olivier Hahn ist da und erzählt, wie die Rugbyspieler – er sagt Rügby – zu einer Bouleabteilung gekommen sind: „Beim HRC waren schon immer viele Franzosen, auch wegen Rügby, und am Eisbär im Stadtpark wurde von Franzosen Boule gespielt. Da ergab sich das.“

Am Eisbär, ein paar Meter unterhalb des „Landhaus Walter“, wird immer noch gespielt. Dort sind die Hobbyspieler, die heute auf dem Boulodrom mit Olivier und Alain vom HRC boulen, der als einziger Nordklub in der Ersten Liga spielt, aktiv.

Santana spielt, Köpfe nicken, Kugeln fliegen, Blätter rauschen

Die Mitgliederentwicklung beim HRC ist positiv. „Da tut sich was“, sagt Olivier, „bald haben wir eine dritte Mannschaft zusammen.“

Santana spielt „Nobody to depend on“, Köpfe nicken, Kugeln fliegen, Blätter rauschen. „Wir genießen es, wenn da Konzerte sind“, sagt Olivier. Und wenn mal einer die Konzentration verliert, spielt das keine Rolle. Schon wieder schießt Alex einen weg. Ist gut drauf heute.

Santana macht keine Pause. Die Boulespieler schon. Auf dem Grill Würste und Fleisch, der Kartoffelsalat in der Tupperschüssel, das Brot in der Tüte. Bier, Rotwein, die Boulespieler bieten auch denen, die an ihrem Tisch sitzen und kein Boule spielen, ein Würstchen an. Saskia hat keinen Hunger, möchte aber mitspielen. Auch das geht. Einer hat immer seine Ersatzkugeln dabei.

Es gibt keine Schiedsrichter, man diskutiert strittige Fragen aus. Im Notfall hat einer einen Meterstab in der Tasche. Paco hat ein schönes Accessoire: Eine Schnur mit Magnet unten dran, mit dem er seine Kugeln aufhebt. Statt Bücken. Boule ist ein fauler Sport. Bei Wettkämpfen wie dem Turnier am 15. und 16. August in Travemünde wird „zwei Tage lang fünf, sechs Stunden Boule hintereinander gespielt, das ist hart“, sagt Olivier.

Aus den Gärten des Stadtparks hebt sich Nebel. Santana hat seine Band vorgestellt und ist bei den Zugaben. Die Santana-Fans gehen, die Boulespieler packen ihre Kugeln in die Holzkisten. „A bientôt“, sagen die Franzosen.