: Zuschlag für den Deich
Das Meer steigt, der Deich wächst mit. Und zwar um gut einen halben Meter – allein des Klimawandels wegen. Darauf haben sich jetzt die Deichbauer in Niedersachsen und Bremen geeinigt
von Armin Simon
50 bis 60 Zentimeter Erde, Sand und Klei. Das ist, in ganz nüchternen Zahlen ausgedrückt, die Reaktion des bremischen und niedersächsischen Küstenschutzes auf den globalen Klimawandel und das von WissenschaftlerInnen prognostizierte weitere Ansteigen der Meeresspiegel. Dieses Szenario ist damit endlich auch „in den Köpfen“ der niedersächsischen Deichplaner angekommen, wie der Bremer Experte für Aquatische Ökologie und Deichhauptmann Michael Schirmer jetzt erfreut festgestellt hat.
Das war bisher nicht unbedingt der Fall. Als die niedersächsischen DeichplanerInnen Anfang des Jahres mit ihren Bremer KollegInnen zusammensaßen um die Deichhöhen für die nächsten 20 Jahre festzulegen, wollten sie vom Sicherheitszuschlag noch nichts wissen. Denn das niedersächsische Deichgesetz sieht keinen Klimawandel vor. Und das Zahlenmaterial, das dazu bislang vorliegt, war den Experten noch zu dünn. Als „nicht akzeptabel“ geißelte der Wasser-Wissenschaftler Schirmer damals diese Position.
Denn die stetige Flut lässt sich längst auch an den Pegeln ablesen. Der Meeresspiegel an der deutschen Nordseeküste etwa ist in den letzten 40 Jahren zwei- bis dreimal so schnell gestiegen wie zuvor – die immer extremeren Tiden und aggressiveren Sturmfluten sind dabei noch gar nicht mit eingerechnet. Schleswig-Holstein hat aus diesen Erkenntnissen bereits vor drei Jahren Konsequenzen gezogen. Bei Neuberechnungen von Deichhöhen, sagt der Referatsleiter Küstenschutz im Kieler Innenministerium, Bernd Probst, plane man seither stets ein „zusätzliches Maß an Sicherheit“ in Höhe von rund 50 Zentimetern mit ein.
Diese Haltung haben sich jetzt auch die Experten im Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz zu eigen gemacht. In den neuen Generalplan Küstenschutz, den sie derzeit gemeinsam mit Bremen erstellen, werden sie ebenfalls einen solchen „Sicherheitszuschlag“ mit aufnehmen – zusätzlich zu der sowieso anstehenden Deicherhöhung. Der Generalplan legt die Soll-Höhen für die mehreren hundert Kilometer Deiche fest, die bei der nächsten Deicherneuerung dann zum tragen kommt.
Zwar sind die neuen Niveaus für die Schutzwälle noch nicht in jedem Einzelfall ausgerechnet. Im Schnitt jedoch, so viel lässt sich bereits zu diesem Zeitpunkt sagen, werden die niedersächsischen und bremischen Deiche in den nächsten 20 bis 30 Jahren um bis zu 80 Zentimeter in die Höhe wachsen. Der Platzbedarf am Deichfuß liegt, je nach Bauart des Walls, bei bis zu hundert Metern.
Die Kosten allein für die Aufstockung der Bremer Landesschutzdeiche werden Schirmer zufolge im zweistelligen Millionenbereich liegen – obwohl es dabei vergleichsweise nur um wenige Kilometer Wall geht. 70 Prozent der Aufwendungen muss der Bund zahlen, 30 Prozent verbleiben bei den jeweiligen Ländern. Hinzu kommt der größere Aufwand für Unterhaltungs- und Ausbesserungsarbeiten. Auch die Deichabgaben, die etwa Bremer GrundstücksbesitzerInnen dafür leisten müssen, dürften also steigen.
Auf lange Frist, da sind sich die Experten einig, werden wahrscheinlich auch die jetzt mit „Klimazuschlag“ errichteten Deiche nicht ausreichen. Probst sagt: „Küstenschutz darf man nicht als endliche Aufgabe begreifen.“