Fußball für die Pimpfe

Neonazis modernisieren ihre Nachwuchsarbeit und locken die Jugendlichen mit harmlosen Freizeitangeboten an

BERLIN taz ■ Die Kicker vom „Sportvolk“ genießen in Rathenow einen durchaus respektablen Ruf. Zwar krebst die Mannschaft seit langem auf dem letzten Tabellenplatz herum. Aber: Schlechter Stil? Auffällige Parolen? Ungewöhnliche Outfits? Nein, versichert Nils Ahrens, Rechtsanwalt und für die gegnerische „Partyzan“-Elf aktiv, das wäre ihm neu. Im Gegenteil: Die Sportsfreunde vom Tabellenende hätten der Turnierleitung „nie einen Anlass gegeben zu sagen – ihr dürft hier nicht mehr mitspielen“. Rechtsanwalt Ahrens war deshalb verblüfft, als er in der Zeitung las: Einigen Spielern vom „Sportvolk“ wurde gerade die rote Karte gezeigt – allerdings jenseits des Fußballfelds.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden widmeten zumindest fünf „Sportvolk“-Kicker ihre freie Zeit auch der havelländischen Neonazi-Kameradschaft „Hauptvolk“. Brandenburg hat die verfassungsfeindliche Truppe und ihre Jugendorganisation „Sturm 27“ vor einigen Tagen verboten. Mit diesem „deutlichen Signal“ sei es allerdings nicht getan, mahnte Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Auch Schulen, Eltern und Vereine müssten „ihre besondere Verantwortung wahrnehmen“.

Das Pikante an dem Appell: Die kameradschaftsnahe Fußball-Elf „Sportvolk“ und die von einem führenden „Hauptvolk“-Mitglied in der Stadt geleitete Kickbox-Gruppe werden sich wohl weiter nach Kräften um den Nachwuchs in Rathenow bemühen. Denn beide sind nicht von dem Verbot betroffen. Die Begründung der Sicherheitsbehörden: Die Gruppierungen seien ja nur zum Teil „personenidentisch“ mit dem „Hauptvolk“.

Für Fachleute zeigt der Fall damit exemplarisch eine der Schwächen der Verbotsstrategie im Kampf gegen rechts. Denn viele Formen rechtsextremer Nachwuchsrekrutierung lassen sich nicht so einfach untersagen. „Die Kameradschaft ist keine Strukturbedingung für die Jugendarbeit der Rechtsextremen“, sagt Wolfram Hülsemann, Leiter des Mobilen Beratungsteams in Brandenburg. Die Rechtsextremisten setzten vielmehr auf andere Wege, um in unterschiedliche „Alltagskulturen“ der Jugendlichen einzudringen.

Seit geraumer Zeit beobachten Mitarbeiter des Mobilen Beratungsteams, dass Neonazis mit „niedrigschwelligen“ Freizeitangeboten – Sport, Ausflüge, Lagerfeuerabende – gelangweilte Teenager ködern. Mancherorts hätten Rechtsextreme sogar versucht, die Jugendfeuerwehr zu unterwandern. „Die haben in der Nachwuchsarbeit ganz schön dazugelernt“, urteilt auch Michael Kohlstruck, Extremismusforscher von der TU Berlin. Das Ziel sei, möglichst „sanft“ an die „Bedarfslagen“ junger Leute anzudocken: „Die Einladung zum Schulungsabend ist in der Regel erst der zweite Schritt.“

Ein Blick in einschlägige Internetforen lässt befürchten, dass solche Propagandarunden militanter Neonazis im Havelland bald wieder stattfinden dürften – ungeachtet des jüngsten Kameradschaftsverbots. Denn kleinlaut wirken die Kommentare nicht, im Gegenteil – mancher Kamerad gewinnt dem staatlichen Durchgreifen sogar Positives ab: Es sei ohnehin Zeit, sich von der „Vereinsmeierei“ zu verabschieden, urteilt ein Aktiver. Ein anderer hofft, dass sich die „nationale Szene“ nun endlich organisatorisch „modernisiere“. Das Ziel: noch losere Strukturen bilden, auf bedruckte T-Shirts, Wimpel oder förmliche Mitgliederversammlungen verzichten. Die Kameradschaft „Weserbergland“ hat diesen Kurs offenbar bereits eingeschlagen – zumindest behauptet sie dies in einer im Internet verbreiteten Auflösungserklärung: Um einer Verbotsaktion vorzubeugen, trete die frühere Kameradschaft jetzt nur noch als „Informations- und Kommunikationsplattform“ ohne feste Mitgliedschaften und eigene Finanzen in Erscheinung. „Wir sind am Puls der Zeit!“

Das gilt wohl auch für die Taktik des Rathenower Rechtsaußen-Fußballteams. Jedenfalls sieht man bei der „Partyzan“-Konkurrenz in der Stadtliga offenbar keinen Grund, den Tabellenletzten zu disqualifizieren. Warum auch, fragt Fußballliebhaber Ahrens: „Die wollen doch nur kicken.“ ASTRID GEISLER