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Archiv-Artikel

THEATERKLIMAKTERIUM UND HASSPREDIGER

VON HARTMUT EL KURDI

Heutzutage rutscht man ja bereits mit 33 in die Midlife-Krise, also ungefähr nach dem neunten unbezahlten Praktikum in einer Eventagentur oder der vierzehnten Dramaturgiehospitanz an einem deutschen Stadttheater. Ich werde dieses Jahr schon 45 und habe beschlossen, diesen Kokolores einfach zu ignorieren: Weder plane ich Sex mit 17-Jährigen noch werde ich mich zum Triathlon anmelden, und zum Konservatismus lasse ich mich schon gar nicht bekehren, obwohl man ja im Alter angeblich automatisch konservativer wird (Interviewer: „Sind sie mit den Jahren konservativer geworden?“ – Heinz Rudolf Kunze: „Auf jeden Fall, ja.“).

Bevor ich jedoch meine Restlebenszeit damit verschwende, den jungen Lesern zu erklären, wer Heinz Rudolf Kunze ist (na gut, aber nur ganz kurz: Hat früher SPD-Wichtigtuer-Schmonzetten gesungen und den Pop-Intellektuellen gespielt, heute findet er die Politik von Christian Wulff supi und setzt sich mit dem niedersächsischen Innenminister und Kinderabschieber Uwe Schünemann zum perfekten Promidinner an den TV-Tisch), wende ich mich lieber dem Thema „Theater“ zu. Das ist nämlich eines der wenigen Gebiete, wo ich tatsächlich eine Lebensmittenkrise habe.

Irgendwann musste ich feststellen: Obwohl das Theatermachen unter anderem mein Beruf ist, interessiert mich Theater nur noch bedingt. Aber dann fiel mir ein, dass das Theater im Theatersinne mir schon immer humpe war! Zumindest das, was die meisten daran lieben: Shakespeare, Brecht, Kostüme, Faust und Mephisto, auf dumme Abonnenten schimpfen, Künstlerboheme – alles nicht mein Ding. Nie gewesen.

Was nicht heißt, dass ich in den sogenannten Erst-Liga-Theatern in Berlin, München, Hamburg und selbst in Hannover in den letzten Jahren keine schmissigen Inszenierungen gesehen hätte. Aber da passieren inzwischen ja auch ganz andere Dinge auf den Bühnen. Dort inszenieren Leute wie René Pollesch und Schorsch Kamerun, und so was ist dann schon oft erfreulich. Trotzdem reizt mich das Paratheatralische immer noch mehr.

Zum Beispiel Serdar Somuncu, der offiziell unter der Flagge Kabarett/Comedy segelt, dessen Liveshow aber in Wahrheit vielleicht das Subversivste und Komischste ist, was zurzeit auf Deutschlands Bühnen stattfindet. Der aus Neuss stammende „Hassprediger“ (Eigenwerbung) geht auf die Bühne und läuft kontrolliert Amok. Er explodiert sowohl inhaltlich wie formal. Und zu Beginn des Programms macht er folgende Ansage: „Ich spiel hier ein Rolle. Ich meine nicht ernst, was ich sage … manchmal schon, aber sie müssen herausfinden, was und was nicht.“

Und dann pöbelt sich Serdar Somuncu gnadenlos um Kopf und Kragen, überschreitet ständig die Grenze vom heiligen Zorn zum reaktionären Gekeife, von der berechtigten moralischen und ästhetischen Empörung zum sinnlosen Gemecker und beleidigt alles und jeden. Und so bleibt einem nichts anderes übrig, als hinterher noch mal selbst nachzudenken. Und das ist ja schon mal was im Theater.