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Archiv-Artikel

Plötzliches Abbiegen gefährdet das Protestziel

NEUKÖLLN Linke Demo gegen Polizeigewalt löst sich nach Spontanaktion von Teilnehmern vorzeitig auf

„Verdammt!“ Die von linken Gruppen organisierte Demonstration gegen Polizeigewalt auf dem Neuköllner Herrfurthplatz hat am Samstag noch gar nicht begonnen, da fängt sich ein junger Mann schon eine Strafanzeige. Der schwarz gekleidete Teenager war in eine Vorabkontrolle geraten, ein Pfefferspray wurde entdeckt: Verstoß gegen das Versammlungsrecht.

Ob der Teilnehmer den Abend für sich trotzdem als Erfolg verbucht, muss offen bleiben. Eine kleine Gruppe an der Spitze des Demonstrationszugs löst die Protestveranstaltung frühzeitig mit einer spontanen Aktion auf – zur Überraschung vieler.

Von Beginn an verläuft die Demonstration brisant. 300 Personen haben sich am Samstagnachmittag nach Angaben der Polizei versammelt. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit bricht die Menge auf und verdoppelt rasch ihre Zahl. Weitere Demonstranten kommen offenbar bewusst später hinzu, um Polizeikontrollen zu umgehen. Schon bald fliegen vereinzelte Böller in Richtung der Beamten, die an den Flanken sowie vor der Spitze des Protestzuges mitlaufen.

Nach einigen Minuten Fußmarsch bricht frenetischer Jubel unter den Teilnehmern aus. Der Demonstrationszug soll gerade in eine Straße abbiegen, da tauchen plötzlich vermummte Gestalten auf den Dächern anliegender Wohnhäuser auf. Sie erleuchten die Nacht mit Pyrotechnik und schwenken zur Begrüßung der Menschen unten auf der Straße eine große rote Fahne.

Während der einstündigen Demonstration skandieren die Teilnehmer Parolen aus ihrem reichhaltigen Anti-Polizei-Repertoire. Umgeben von Beamten rufen sie: „West-Berlin hasst die Polizei“, „Mörder, Mörder, Mörder“, „Not Justice, no Peace, fight the police“ oder „BRD, Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt.“

Die Polizisten lassen sich die reichlich zelebrierte Beamtenbeleidigung nicht anmerken. Hier und da grüßten Demonstranten Personen in der Menge, die sie als Zivilpolizisten ausgemacht haben wollen, lauthals mit „Hey, Gandalf“. Glück für die Protestler: Spitzel der Gema sind an diesem Abend nicht zu sehen, denn wiederholt wird „Alle Bullen sind Schweine“ gesungen, unterlegt mit der Melodie eines White-Stripes-Klassikers.

Aus der überwiegend schwarz gekleideten Menge stechen zwei etwas bunter gekleidete Demonstranten hervor. Trotz klarem Himmel führen sie Regenschirme mit sich. Die beiden stürmen jedes Mal los, wenn an der Front des Zuges ein gelber VW-Bus auftaucht. Aus den Dachluken des Bullis filmen zwei Polizisten die Menge. Rasch eilen die beiden Schirmträger heran, um mit einem aufgespannten roten und schwarzen Utensil den Beamten das Sichtfeld zu versperren.

Blitzartiges Abbiegen

Eigentlich soll die Demonstration nach acht Kilometern Fußweg den Tempelhofer Damm erreichen. Nach einem Viertel der Strecke biegen rund 100 Personen an der Spitze des Zuges blitzartig von der geplanten Route ab und rennen in eine Nebenstraße. Rasch folgen einige Polizisten.

Der Hauptteil der Demonstranten verstreut sich daraufhin in alle Richtungen. Die meisten gehen nach Hause, einige machen sich auf zum Kottbusser Tor, wo eine spontane Aktion mangels Masse dann doch nicht stattfinden kann.

Anlass der Demonstration waren zwei Sicherheitskonferenzen, die in Kürze in Berlin stattfinden werden: Bei der „International Urban Operations Conference“ vom 31. Januar bis 2. Februar referieren hochrangige Militärs über Operationen in urbanem Gebiet. Im Zentrum des diesjährigen „Europäischen Polizeikongress“ am 14. und 15. Februar stehen Sicherheitsstrategien gegen den internationalen Terrorismus. Aus Sicht der Demonstranten soll auf den Konferenzen „staatliches Morden perfektioniert werden.“ ULRICH GOLL