Der böse Versöhner

Bajuwaristik zwischen Spießertum und Anarchie: Der Kabarettist Gerhart Polt tritt in den Wühlmäusen auf

Zum Glück ist Gerhart Polt kein Comedian, sondern ein Kabarettist alter Schule, ein Sprachkabarettist. Er muss nicht herumhampeln, greinen, spaßeshalber Tabus brechen, grimassieren und zweideutig werden. Gerhart Polt ist seit dreißig Jahren bekannt durch Funk und Fernsehen, durch die Sketch-Reihe „Fast wia im richtigen Leben“, durch Filme wie „Man spricht deutsch“ und seine Auftritte mit den „Biermösl Blosn“. Bei Polt braucht es nur einen Stuhl auf der Bühne, auf den er sich den ganzen Abend nicht setzen wird. Er wird zwei Stunden da stehen, behäbig schwer ein paar Schritte nach rechts oder links gehen und bayrisch reden.

Schon bald gewöhnt man sich, hier im tiefsten Berliner Westen, bei den Wühlmäusen am Theodor-Heuss-Platz, an das saftige Bayrisch. Auch die Tagepolitik – Hartz 4, Ich-AG, Visa und Feinstaub – bleibt außen vor. Es geht um ewigere Themen, es geht um den Menschen an sich in Bayern. Gerhart Polt schlüpft in verschiedene Rollen, zuerst ist er ein im Denkmalpflegerischen tätiger Bayer, der über das Land Bayern als abendländischer Kulturstaat ersten Ranges Auskunft gibt. Die Laut-Leise-Dynamik, das Schimpfen und Poltern und Überakzentuieren gehört bei Polt zum Handwerk. „Ein Ro-ko-ko-juwel ersten Ranges!“, ruft er donnergleich ins Publikum. „Wo früher Majestäten, später dann die Strauß-Familie saß!“

Polts Sprachkunst entwickelt sich in langen Monologsätzen, wo ein Begriff hingeworfen und immer weiter umständlich spezifiziert wird: „ein Mensch – ein Subjekt – ein Individuum sozusagen“ oder „eine Ruhe – eine Stille – eine absolute Tranquillität“. Dann die Ausbrüche: „Die Ratte! Die Drecksau! I mag nit schlecht über ihn reden!“ – so deftig, so herzerfrischend direkt schimpft es sich halt nur in Bayern!

Die Welt in Polts Geschichten ist eine Welt, in der man auch dankbar sein muss, für ein schönes Reihenhaus zum Beispiel, 20 Minuten von München entfernt. Mit Blick auf die schneebedeckten Berge, auf grüne Wiesen. Kuhglockengebimmel, ein weißblauer Himmel, „ein Neger passt da schon rein ästhetisch nicht rein“. Die Monologe fangen oft mit Nebensächlichkeiten, einem „Naja“, einem Griff ans Kinn an. Das scheinbar freie Fabulieren lässt den Zuschauer lange über das Thema im Unklaren, dann werden plötzlich ein ein paar drastische Details eingeworfen. Die Hinschraubung zum Fiesen, Menschenverachtenden kommt erst am bitteren Ende. Da jammert Polt mit hoher Frauenstimme über den „Vati“, der nicht mehr frühstücken mag.

Es ist eine Welt, in der die Gynäkologen-Schwiegersöhne Zen-Gärten anlegen und Fische im Wert eines Golf GTI im Teich halten, eine Welt, in der zwei Ukrainer „als Wiedergutmachung“ aus Kiew mitgebracht und untervermietet werden. Platz hat man ja: „Der Bari ist ja tot: Nicht was sie jetzt meinen, keine Hundehütte – ein großer Zwinger.“ Der Ich-Erzähler Gerhart Polt wird zum selbstzufriedenen, im Zweifelsfall rassistischen Bürger. Er ist der bayrische Spießer, der daran verzweifeln will, dass es Menschen gibt, die es früher so nicht gegeben hat: „Gibt’s das, dass es solche Menschen gibt.“

So legt Polt mit seinen langen Monologsätzen unermüdlich den bajuwarisch-subversiven Charakter dar, gibt Einblicke in die Bavaristik zwischen Spießertum und Anarchie und bringt sein Publikum zum Laut-Hinauslachen. Und versöhnt uns sogar mit der alten Tante „Kabarett“.

CHRISTIANE RÖSINGER