Rechte Gewalt streng vertraulich

Opferberatungen zählen regelmäßig mehr rechte Übergriffe als die Innenbehörden. Die Ursachen sind umstritten – auch, weil die Länder nach geheimen Kriterien arbeiten

„Die Transparenz der Statistiken rechter Gewalt ist auf Seiten der Länder gleich null“

BERLIN taz ■ Wer wissen will, wie hoch die rechtsextreme Gewalt in der Bundesrepublik ist, steht vor einem Dilemma: Solle er eher den Statistiken der Innenminister vertrauen? Oder besser denen von Opferberatungsstellen? Je nachdem ist die Lage schlimm – oder noch viel schlimmer.

Die Bundesländer haben zwar vor vier Jahren ihre Kriterien zur Erfassung rechter Gewalt überarbeitet, um die damals lückenhaften Listen zu verbessern. Aber die Zahlen klaffen trotz neuer Regeln für die Erhebung „politisch motivierter Kriminalität“ immer noch auseinander, zum Teil erheblich. In Sachsen zählte das Landeskriminalamt im vergangenen Jahr 63 rechtsextreme Übergriffe, die Opferberatung hingegen 146. In Mecklenburg-Vorpommern tauchen in der offiziellen Statistik 30 Gewalttaten auf, die Opferberatung kam auf 58. In Sachsen-Anhalt standen 73 offiziellen Fällen immerhin 109 inoffiziell gezählte gegenüber.

Wie kann das sein? Wird auf der einen Seite vertuscht und geschlampt – oder auf der anderen Panikmache betrieben? Wer den Ursachen nachgeht, stößt schnell auf Ratlosigkeit. „Die Transparenz auf Seiten der Länder ist gleich null“, kritisierte Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion bei der Fachtagung „Rechte Gewalt“ in Berlin. Die Innenministerkonferenz habe die Erfassungskriterien zuletzt 2004 überarbeitet. Aber sämtliche Richtlinien seien als „vertraulich“ eingestuft. Sprich: unter Verschluss.

Roland Eckert von der Universität Trier war als Gewaltforscher seinerzeit an der Statistik-Reform der Innenminister beteiligt. Statt Erklärungen hat auch er für die „deutlichen Diskrepanzen“ zwischen den Tatlisten nur Hypothesen. Für besonders problematisch hält Eckert die Einstufung von Konflikten zwischen rechten und linken Jugendlichen. Vermutlich tue die Polizei viele Fälle als „Revierkämpfe“ ab, die andere als „menschenverachtende Straftaten“ klassifizieren würden. Und einige Revierpolizisten interpretierten Straftaten vermutlich zuweilen lieber nicht als rechtsextrem – allein um den Ruf ihrer Region zu schonen.

Ob diese Hypothesen stimmen? Ja, urteilen Opferberater. Nein, beteuern LKA-Beamte. Trotz eindeutiger Kräfteverhältnisse in vielen ostdeutschen Städten stießen Jugendliche aus der linken Szene bei der örtlichen Polizei regelmäßig auf wenig Verständnis, berichtete Dominique John, Koordinator der Opferberatungsstellen in Ostdeutschland. Ausländische Opfer könnten sich zudem häufig nicht ausreichend verständigen, aber der Polizei sei es zu mühsam, einen Dolmetscher einzuschalten. Ganz davon abgesehen wollten einige Opfergruppen generell nicht zur Polizei gehen.

Dieses Problem bestreiten auch Kriminalbeamte nicht. Vorwürfe für das Statistik-Dilemma akzeptieren sie deshalb aber noch lange nicht. Natürlich könnten die Behörden keine rechtsextremen Straftaten zählen, die gar nicht bei der Polizei angezeigt worden seien, bemängelte Dieter Büddefeld, Direktor des LKA-Brandenburg. Zudem gebe es immer wieder Fälle, wo Opferberatungen ungeprüft Medienberichte übernähmen oder wo sich angebliche rechtsextreme Straftaten im Nachhinein als Finten entpuppten.

Warum die Länder aber ihre Zählmethoden nicht offen legen, um die Vorwürfe der Gegenseite zu entkräften – darüber darf man weiter rätseln. Ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums, das der Innenministerkonferenz vorsteht, will nur bestätigen: Die Erfassungskriterien seien 2001 als „NFD“ eingestuft worden – „nur für den Dienstgebrauch“. So dürfe man dazu leider öffentlich nicht mehr sagen. Das Bundesinnenministerium verwies gestern auf eine drei Jahre alte Bundestagsdrucksache zum Thema – und darauf, dass die Statistiken ohnehin Sache der Länder seien. Zu der Fachtagung hatte das Ministerium von Otto Schily lieber erst gar keinen Vertreter geschickt. ASTRID GEISLER