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Archiv-Artikel

Mit Bild, BamS und Glotze

Der größte deutsche Zeitungsverlag will den zweitgrößten deutschen TV-Konzern übernehmen: Springer will ProSiebenSat.1

VON STEFFEN GRIMBERG UND HANNAH PILARCZYK

Mathias Döpfner kann sich in diesen Tagen dem Ziel sehr nahe fühlen. Morgen auf der Hauptversammlung der Axel Springer AG dürfte der Vorstandschef das erste Mal von nörgeligen Anträgen und Beschwerden querulierender Kleinanleger verschont bleiben: Schließlich kann er für 2004 eine Rekordbilanz trotz immer noch nicht überwundener Werbekrise präsentieren. Doch was sind schon 148 Millionen Euro Konzernüberschuss, wenn jetzt ein Wurf winkt, der höchstens mit der Einführung der Bild-Zeitung anno 1952 vergleichbar ist. Während Konzernpatriarch Axel C. damals für Deutschland das gedruckte Fernsehen erfand und Springer so eine bis heute sprudelnde Geldquelle verschaffte, geht es jetzt um richtiges Fernsehen: Wie Süddeutsche Zeitung und Handelsblatt berichten, steht die Übernahme der Mehrheit an der ProSiebenSat.1-Familie durch Europas größtes Zeitungshaus unmittelbar bevor.

Zwei Modelle stehen dabei im Raum: laut SZ-Orakel will Springer seine Anteile am größten deutschen Fernsehkonzern mit Hilfe der Deutschen Bank von 11,8 auf 50,2 Prozent aufstocken. Die Hauptaktionäre hätten dafür schon ihre prinzipielle Einwilligung erteilt. Das Handelsblatt berichtet dagegen, Springer wolle lediglich seine Anteile auf eine Sperrminorität von 25,1 Prozent ausbauen. Weitere 25,1 Prozent solle Springer-Aktionär Hellmann & Friedman übernehmen. Damit könnte Springer ein Übernahmeangebot für die übrigen Aktionäre von ProSiebenSat.1 umgehen, die bei einer Aufstockung auf mehr als 30 Prozent vorgeschrieben ist. Beides liefe aber auf dasselbe hinaus: Mit einem Schlag würde so aus dem klassischen Zeitungshaus, das noch vor wenigen Jahren nicht einmal nennenswert außerhalb der Landesgrenzen in Erscheinung trat, ein voll integrierter Medienkonzern. Und aus Döpfner würde der neue Leo Kirch – nur größer.

Eine neue Machtkonzentration

Die Medienmacht ist damit künftig in noch weniger Händen konzentriert: Springer und Bertelsmann (RTL-Group) bestellen dann fast im Alleingang das private TV-Geschäft – und herrschen nebenbei über einen guten Teil des Printmarktes. Allerdings ist Springer im Zeitungsgeschäft deutlich stärker als Bertelsmann. „Mit diesem Schritt droht eine crossmediale Medienmacht zu entstehen, deren Einfluss erschreckend groß wäre“, kommentierte der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), Michael Konken, die Springer-Pläne.

Zwar muss die Übernahme der Aktienmehrheit bei ProSiebenSat.1 von den Kartellbehörden genehmigt werden. Doch anders als in den USA oder Großbritannien ist hierzulande der gleichzeitige Besitz von Zeitungen und Free-TV-Sendern generell erlaubt. Von der Kommission zur Ermittlung des Konzentrationsgrads der Medien (KEK) geht dabei kaum Gefahr aus (siehe unten). Weder beim Bundeskartellamt noch bei der KEK liegen allerdings bisher Anträge für eine mögliche Mehrheitsübernahme.

Bei Springer gibt man sich derweil gewohnt zugeknöpft: „Diese Spekulationen kommentieren wir nicht.“ Wozu auch: Berichte über eine mögliche Übernahme der Senderfamilie machen seit Monaten die Runde, und dass der konservativen Verlagsanstalt im Fernsehen Großes vorschwebt, hatte Döpfner schon bei der Präsentation der Jahresbilanz durch die Blume längst zugegeben: Die derzeit eher kleine Beteiligung an der ProSiebenSat.1 AG von 11,9 Prozent könne man entweder Gewinn bringend verkaufen – oder eben „zu einer strategischen Größe entwickeln“, so Döpfner Anfang März.

Die Führung bei Pro7, Sat.1, Kabel 1, dem Nachrichtensender N 24 sowie dem Grauzonen-Quizkanal Neun Live nebst Reiseanhängsel Sonnenklar-TV will sich Springer laut SZ bis zu 1,3 Milliarden Euro kosten lassen. Die amerikanischen Investoren um den Zeichentrick- und Filmmusik-Milliardär Haim Saban können zufrieden sein: Sie hatten für die Mehrheit an der Free-TV-Familie der untergegangenen Kirch-Gruppe 2003 gerade einmal 750 Millionen Euro bezahlt. Kommt der Deal zu Stande, blieben für die auf raschen Ausstieg drängenden Investoren hübsche 400 Millionen Euro Gewinn. Saban selbst wird allerdings weiter mit am Ball bleiben. Ein Sprecher des Unternehmers blieb dabei: „Herr Saban wird seine Aktien behalten.“ Er wollte sich jedoch nicht darauf festlegen lassen, für wie lange diese Aussage gültig ist.

Das Erbe von Kirch

Dass Döpfner nun mehr als symbolisch das Erbe von Leo Kirch antritt, ist er dabei vor allem seiner Chefin schuldig: Verlegerwitwe Friede hatte über Jahre in ohnmächtiger Wut mit ansehen müssen, wie Kirch gegen den Willen der Springer-Erben nach dem Tod des Verlegers über Strohmänner die Mehrheit zu übernehmen versuchte. Zwar wurde Kirch bei rund 40 Prozent der Anteile gestoppt, doch reichte dies aus, Springer über Jahre zu blockieren.

Auch jetzt sorgt der ehemalige Strippenzieher indirekt noch für Ärger: Sollten die US-Investoren ihre ProSiebenSat.1-Anteile vor dem 8. August 2005 und damit vor Ablauf der beim Übernahme-Poker 2003 vertraglich festgelegten Zweijahresfrist weiterverkaufen, müssten nach Angaben der SZ 85 Prozent des Gewinns an die Insolvenzverwalter der alten Kirch-Holding KirchMedia und deren Gläubiger fließen. Saban & Co. bieten gegenwärtig rund 15 Millionen Euro, um sich von dieser Pflicht freizukaufen, berichtet das Blatt.

Egal wann der Deal abgeschlossen wird, bleibt die größte Herausforderung für Springer auch gleichzeitig die größte Unbekannte im neuen deutschen Medien-Monopoly: Wer bei einem Unternehmen die Mehrheit übernimmt, beansprucht auch die strategische Führung. Doch ob Springer Fernsehen „kann“? Nicht alle sind davon überzeugt, aber immerhin einer. Nach Meinung der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM) könnte der Springer-Einstieg nämlich „positiven Einfluss“ auf ProSiebenSat.1 haben. „Ich würde das für eine Bereicherung für das Unternehmen halten, auch in publizistischer Hinsicht“, sagt BLM-Präsident Wolf-Dieter Ring.