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Archiv-Artikel

SALZBURGER FESTSPIELE Kehlmann hören heißt Castorf verstehen

Daniel Kehlmanns Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele ruft bei den einen Entsetzen hervor, bei den anderen frenetischen Beifall. Sein Angriff auf das Regietheater bietet eine Steilvorlage. Doch wie weit soll eine Rede überhaupt ernst genommen werden, die keinen Schritt nach vorne sucht, sondern weit, sehr weit zurückgeht?

Niemand kann sich ernsthaft wünschen, Kehlmanns Einladung zu folgen, zum hundertsten Mal über den Verrat der Theaterkunst durch Video zu streiten. Kehlmanns Text ist voll ideologischer Kategorisierungen. Wer gegen das Regietheater sei, dürfe das nicht laut sagen, ohne als reaktionär zu gelten, so unterstellt er. Die anderen, die jene verhasste, nie näher präzisierte Theaterform vertreten, seien die dogmatische Mafia. Wen er damit meint, sagt er nicht.

Reinhardt, Beckett und Piscator sind die Namen, auf die er sich bezieht. Wo er Wissen suggeriert, zeigt sich nur, dass er eine Kunst kritisiert, deren Entwicklung er seit den letzten zwanzig Jahren nicht verfolgt hat. Doch spätestens hier wird sichtbar, wie man dieser neunmalklugen Rede etwas Interessantes abgewinnen kann. Was ihm vertraut und unantastbar heilig ist, das sind die Theatervorstellungen seines Vaters. Der ganze Text handelt von ihm und davon, wie der Regisseur Michael Kehlmann als „Diener des Autors“ vom Regietheater ins Abseits gedrängt wurde. Das ist ein reichlich überspannter Bogen – nicht jedoch, wenn man bemerkt, dass die gesamte Rede Kehlmanns Vater führt. In ihr findet sich eine vollständig erhaltene Zeitblase. Man kann den theatralen Gestus heraushören, mit dem das Wunder Theater beschworen wird. So beschreibt Kehlmann sein erstes Theaterereignis, als ein riesiger Kristallluster allein durch einen Wink des Vaters „sich in das Dunkel der Bühne herabsenkt“. Dieses große Staunen des Knaben ist das, was für Kehlmann Theater ausmacht. „Und ich denke noch oft an jenen Luster damals im Theater.“

Man hört die unnachgiebige und autoritäre Stimme eines Regisseurs, der nicht diskutiert, denn dafür „habe man ihn ja engagiert“. Man hört die Selbstgerechtigkeit, nach der ein Scheitern nur eines an den „herrschenden Dogmen“ sein kann. Man hört die Lügen einer Zeit. Der Regisseur, der sich als „Diener des Autors sah. Jawohl einen Diener.“ Nie, zu keiner Zeit, war je der Regisseur ein Diener seines Autors. Es wäre im Übrigen das Letzte, was sich ein Theaterautor je wünschen wollte. Alles Herrliche eines absolutistischen Theaterzeitalters, das Selbstherrliche und Verherrlichende eingeschlossen, lebt hier wieder auf. Und plötzlich versteht man wieder dessen Zertrümmerer wie Castorf oder Schlingensief.

MAXI OBEXER