: Der Sex-Appeal der edlen Rösser
Deutschland wird Weltmeister: Das Richtfest für die mutmaßlich verregneten Weltreiterspiele im August 2006 im pferdeverrückten Aachen ist geschafft. Freundlicher als in Sydney soll es werden
AUS AACHENBERND MÜLLENDER
In jedem Sommer, traditionell in einer unangenehm verregneten Woche, springen und piaffen in der Aachener Soers die Pferde. Der CHIO ist das renommierteste Pferdesportereignis der Welt und für die Viertelmillionenstadt sinnstiftend, weshalb sich Aachen Reiterstadt nennt. Selbst Fußballclub Alemannia, die Saftprinte oder PR-Veranstaltungen wie Karlspreis und Orden wider den tierischen Ernst sind da nur zweitrangige Marken.
Nächstes Jahr wird alles noch ein paar Nummern größer. Vom 22.8. bis 3.9. ist Aachen Austragungsort der 5. Weltreiterspiele – sieben Wochen nach der Fußball-WM das „zweitgrößte Sportereignis in Deutschland in diesem Jahrzehnt“. Derzeit wird umgebaut, Mittwoch war Richtfest, würdigerweise im strömenden Regen. Sportminister Otto Schily (SPD) posierte vor fünf kaiserzeitlich uniformierten Aachener Stadtreitern und lobpreiste „die Reiterhochburg Aachen“ mit ihrem „einzigartigen Publikum“. Die Hufeisen-Szene applaudierte kräftig. Aachens SPD-OB Jürgen Linden legt die Stangen hoch: „Freundlicher zu sein als Sydney, das ist 2006 unser Ziel.“
Noch watet man durch Schlamm, Bulldozer und Bagger tun ihr dreckig Werk. Neue Tribünen entstehen, alte werden entkernt, grundsaniert und fast 30.000-fach neu bestuhlt, die Geländestrecke für die Vierspänner wird wie eine Straßentrasse in die Wiesen geschlagen.
Michael Mronz (38), Geschäftsführer der Reitturnier GmbH, will mit der WM „den Reitsport weiterentwickeln gegen sein manchmal verstaubtes Image“. Reiten, sagt er, „hat sehr sehr viel Sex-Appeal: Die Ästhetik der Reiterinnen, die Ausstrahlungskraft der Pferde, gerade junge Leute sind sehr reit-affin“. Veranstaltungsprofi Mronz (“aktiv ist Reiten nicht mein Sport“) will „mit Gefühl für die Materie nicht als Fachidiot sondern als Marketingfachmann“ arbeiten.
An den gut 15 Millionen Euro Bau-Investitionen in der Soers beteiligen sich Land (7,5) und Bund (2,1), den Rest steuert der Aachen-Laurensberger Renn-Verein ALRV bei. Die bisherigen vier WMs von Rom bis Jerez waren finanziell ein Desaster mit Millionenminus. Durch die Vorabzuschüsse wird Aachens WM die Steuerzahler nachträglich nichts kosten, das Risiko liegt allein beim ALRV. „Und wir erreichen den Break Even“, ist Mronz sicher.
Der CHIO gilt als „Veranstaltung zum Anfassen“. Jahrzehntelang hat das reitjecke Aachen seinem Stadionsprecher Hans Heinrich Isenbart wegen Sätzen wie diesem gehuldigt: „Ein Pferd ohne Reiter bleibt immer ein Pferd, aber ein Reiter ohne Pferd ist eben nur noch ein Mensch.“ Michael Mronz verspricht: „Der Volksfestcharakter mit direktem Kontakt zu den Reitern wird auch bei der WM bleiben.“ Die Preise tun ihr Übriges, Stehplatz Eröffnungsfeier ab zehn Euro, Dauerkarte fünf Tage Dressur ab 34 Euro. „Wir wollen die Reiterei noch mehr als Familiensport positionieren“, sagt der Marketingmann. Es gebe „sehr große Schnittmengen an Interesse: Frauen wollen hin, Männer gehen gerne mit und Kinder finden das auch spannend, Mädchen sowieso.“
ARD und ZDF wollen 60 Stunden direkt übertragen, 40 Länder planen Live-Sendungen. In Las Vegas will Mronz „Gespräche mit dem amerikanischem Fernsehen“ führen. Andere TV-Kunden wie das Pessoa-Land Brasilien kommen hinzu, „das gibt Übertragungs-Dimensionen, die hat es im Reiten noch nicht gegeben“, sagt er. Das Publikum werde „deutlich internationaler“ als beim CHIO sein. Fast jeder Dritte der rund 500.000 Besucher wird aus dem Ausland kommen. Schon gibt es Kartenbestellungen aus USA, Mexiko und Australien im vierstelligen Bereich.
Die WM setzt reichlich Rekorde: die größte und modernste Kompakt-Reitsportanlage weltweit wird 60.000 Zuschauern Platz bieten. 35 Millionen Euro Gesamtetat, 1,35 Mio Preisgelder, 900 Pferde unter oder vor 800 Teilnehmern aus 50 Nationen. Die Stadt jubelt (“Aachen: Immer eine Pferdelänge voraus“) und kalkuliert mit 230 Millionen Zusatzumsatz. OB Linden mutmaßt kühn: „Für die Fußball-WM interessieren sich mehr Leute, aber wir sind besser.“ Hotels und selbst der Aachener Campingplatz sind längst ausgebucht. Wohnmobildörfer sollen eingerichtet werden. Derzeit wird der Bahnhof üppig aufgehübscht, die vielen Pferde-Denkmäler wie der „lachende Hengst“ vor dem Stadttheater aufpoliert; es soll Late Night Shopping geben, stadtweit Kultur-Highlights und Open Air – keine Sperrstunde.
Die Pferde-Euphorie war in Deutschland schon immer riesig: „Ich glaube an das Pferd,“ hat Kaiser Wilhelm II. einmal gesagt, „das Auto ist nur eine vorübergehende Erscheinung“. Trotz solcher Fehlprognose beschäftigt die Pferdewirtschaft heute 300.000 Menschen und sorgt für fünf Milliarden Umsatz, mit 760.000 Mitgliedern ist der deutsche der größte Pferdesportverband der Welt. Hiesige Reitersleut haben die meisten olympischen Medaillen (75) gewonnen, vor den Ruderern.
Für den Sieg geben Reiter manchmal alles – im Wortsinn: mal Psychopharmaka, mal Beruhigungsmitteln oder Koffein. Zuletzt gingen etliche Doping-Fälle erfrischend gut für Ross und Reiter aus: Mal war die B-Probe unbrauchbar schlampig verpackt, also ungültig, mal verschwand sie ganz. Solche Schlagzeilen haben miese Imagewirkung: „Ohne Frage“, sagt Mronz. „Wer wirklich dopt, muss härter bestraft werden als im Humansport, weil da die Sportler selber entscheiden. Sperren von drei Monaten sind lächerlich.“ Bei Dopingsünderin Meredith Michaels-Beerbaum wurde neulich die B-Probe ohne Beisein eines Beschuldigtenvertreters geöffnet. „So Sachen gehen natürlich nicht“, sagt Mronz. Aber sie sind passiert. Zum Freispruch aus formalen Gründen war es leicht.
Neben den Klassikern Springreiten und Dressur umfasst die WM Geländefahrten, Voltigieren, Westernreiten und Vielseitigkeit, was früher Military, jetzt dämlicherweise Eventing heißt. Das spektakuläre Distanzreiten, 160 Kilometer am Stück auf einem Pferd, wird über das Dreiländereck durch Holland und Belgien führen. Die Favoriten kommen aus dem arabischen Raum. Bei der letzten WM in Dubai wurde ein einheimischer Scheich Erster. Nachträglich wurde er disqualifiziert: Doping.
Otto Schily glaubt, dass die Bischofsstadt Aachen 2006 „mit einem deutschen Papst auch das Wetter besser hinkriegt“. Mronz freut sich mehr auf die sportlichen Perspektiven: Weil bislang mehr als 50 Prozent aller WM-Medaillen an Deutsche gingen, sei bei 15 Entscheidungen eines „so gut wie sicher“: „Deutschland wird Weltmeister.“ Der umtriebige Geschäftsführer hat Glück, dass er Pferdemann ist: Denn alle Spekulationen der Bundesregierung mit einer Titeleuphorie die Chancen auf Wiederwahl im September 2006 zu verbessern, funktionieren höchstens beim Fußball. Verzückte nationale Pferde-Raserei könnte Mronz‘ Lebenspartner Guido Westerwelle sonst den erhofften Regierungsjob kosten.
Infos: www.aachen2006.de