: Vor dem letzten Gericht in Haft
Eskalation im Streit um baptistische Schulverweigerer: Nachdem eine Mutter in Haft genommen wurde, wünschen fundamentale Baptisten den Verantwortlichen „das letzte Gericht“
VON ELMAR KOK
Wegen des Streites um die Schulpflicht sitzt in Ostwestfalen-Lippe die erste Frau in Haft. Die Behörden haben eine 55-jährige Mutter aus Schloß-Holte Stukenbrock verhaftet und in die Justizvollzugsanstalt Bielfeld-Brackwede gebracht, wo sie eine sechstägige Haftstrafe absitzen muss. „Wie jeder andere Gefangene auch“, wie der CDU-Landrat aus dem zuständigen Kreis Gütersloh, Sven-Georg Adenauer, gestern der taz sagte.
Die fundamental-christlichen Lobbyisten des Hausunterrichts wünschen dem Urenkel des Altkanzlers nun den Leibhaftigen an den Hals. „Das letzte Gericht wird dazu noch tagen“, kommentiert Jörg Großelümern, Verfechter des Hausunterrichtes, in einer Mail das Verhalten des Politikers, der als Landrat auch oberster ziviler Polizeichef des Kreises ist. Vorerst sehen die weltlichen Vorkommnisse in Ostwestfalen-Lippe jedoch andere Verfahren vor. Im Kreis Gütersloh stehen zwei weitere Verhaftungen wegen Missachtung des Zwangsgeldes an. Eine Frau habe nicht verhaftet werden können, da sie angegeben habe, ihr 16 Monate altes Kind noch zu stillen. „Das können wir ja nicht überprüfen“, sagt Adenauer.
Auf jeden Fall werde der Ehemann der jetzt ins Gefängnis gegangenen Frau auch noch in Haft genommen, kündigt der Landrat an. Mit Rücksicht auf die Kinder des Ehepaares habe man sich dazu entschieden, nicht beide gleichzeitig zu verhaften, sagt Adenauer. Für den Kreis Paderborn ist zu erwarten, dass dort Anfang Mai die ersten Verhaftungen von Eltern, die sich weigern, ihre Kinder in die Schule zu schicken, stattfinden werden. „Ende April laufen die Fristen zur Zahlung der Zwangsgelder aus“, sagt der Paderborner CDU-Landrat Manfred Müller. Dann werden voraussichtlich auch dort die ersten Menschen wegen der in Deutschland geltenden Schulpflicht in Haft gehen müssen. Bisher habe keine der betroffenen Personen das Geld bezahlt, sagt Müller.
Der CDU-Politiker, der nach eigenen Angaben „tausende Mails“ wegen seiner harten Haltung gegenüber den Schulverweigerern bekommen hat, geht nun auch anders gegen die fundamental-christlichen Lobbyisten des Hausunterrichts vor. Müller hat gegen den Hausschulaktivisten Helmut Stücher aus Siegen Strafanzeige wegen Hochverrats gestellt. Anlass der Anzeige ist ein Brief von Stücher an das Schulministerium. Stücher hatte geschrieben, „die baptistischen Gemeinden haben mit ihren zigtausend Kindern das Potenzial, Deutschland über Nacht in einen totalitären Unrechtsstaat zu verwandeln“. Während das Schulministerium den Brief eher so interpretierte, dass sich die Schulverweigerer verfolgt fühlten (taz berichtete), nimmt Müller den Brief als Bedrohung wahr. Schließlich sei Schücher der Berater der Paderborner Fundamental-Christen, so Müller. Die Paderborner Staatswanwaltschaft hat die Anzeige direkt an den Generalbundesanwalt weitergeleitet.
Der Integrationsbeauftragte des Landes NRW, Klaus Lefringhausen, bezeichnete die Anzeige gegen Stücher gestern gegenüber der taz als „eine Form der Kriminalisierung, die diesen Menschen nicht gerecht wird“. Lefringhausen hatte über Monate versucht, den Streit in Paderborn zu schlichten, war mit seinen Vorschlägen aber letztlich gescheitert. Zuletzt empfahl er den Schulverweigerern, eine eigene Schule zu gründen.
Trotz der Eskalation glauben die beiden CDU-Landräte an ein friedliches Miteinander in den Schulen der beiden Kreise. „Wenn man sich der Schulpflicht beugt, gehe ich davon aus, dass es möglich sein wird, geregelten Schulunterricht durchzuführen“, sagt der Paderborner Müller, „ich hoffe sehr, dass das Verhältnis auch nach dem Streit wieder zu kitten ist“.